Der rasante Siegeszug der Plattformen
Vor knapp 15 Jahren waren die Top 10 Dax-Werte neun Mal soviel wert wie die 10 größten globalen Plattformen zusammen. Ende 2018 sieht das Bild anders aus: Plattformen sind bereits drei Mal soviel Wert wie die Top 10 Dax-Werte.
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Der Erfolg von Google, Apple, Facebook, Amazon, Tencent oder Alibaba ist offensichtlich eng verwoben mit der Internetrevolution. Vor 20 Jahren konnten sich knapp 100 Millionen Menschen einen Zugang zum Internet leisten. Heute sind bereits 51 Prozent der Menschheit mit dem Internet verbunden und interagieren mit 4 Milliarden aktiven Smartphones. 900 Millionen iPhones treffen auf 3,1 Milliarden Androidgeräte verschiedener Hersteller.
Keiner zweifelt mehr an der technologischen Leistungsfähigkeit, an der Breite potentieller Einsatzgebiete oder an der Dominanz von Apple und Google. Smartphones sind zu der wichtigsten Infrastruktur unseres Zeitalters geworden, auf der alle anderen erfolgreichen Digitalunternehmen wie Facebook (2,3 Mrd. monatlich aktive Nutzer), Uber (91 MAU), Netflix (150 Millionen zahlende Nutzer), Spotify (100 Millionen zahlende Nutzer) oder ByteDance (mehr als 1 Milliarde MAU im Portfolio, bestehend u.a. aus Toutiao, TikTok/Douyin und FaceU) aufsetzen.
Diese Unternehmen sind zu einem festen Bestandteil unser digitalen Lebenswelt geworden. Ein Blick auf den eigenen Homescreen genügt. Anwendungen von Google, Apple oder Facebook (Messenger, WhatsApp, Instagram und zukünftig wahrscheinlich auch Libra) dominieren. Aber auch die Apps von Amazon, Spotify, Twitter, Snapchat oder Netflix fühlen sich hier zu Hause. Jedes Mal wenn wir das Smartphone einschalten – im Durchschnitt 60 mal pro Tag – gieren die Anwendungen nach unserer Aufmerksamkeit. Im Gegenzug erhalten wir glücklich machende Dopamin-Shots. Jeder Like, jeder Einkauf, jeder Entertainment Konsum gleicht einem Kick guter Laune.
Der Lohn? Egal ob man Marktkapitalisierung oder Markenwert als Indikator für wirtschaftlichen Erfolg anlegt, Plattformen gewinnen. Sie sind die Pförtner der wichtigsten Ökosysteme dieser Welt. Sie orchestrieren eine neue Art der Wertschöpfung und richten sie konsequent auf den Kunden und seine Bedürfnisse aus.
Vor allem verbraucherorientierte Branchen haben die Macht der mobilen Endgeräte mit ihren globalen Entwicklerökosystemen und länderübergreifenden Anwendungsmarktplätzen in der Vergangenheit zu spüren bekommen. Wertschöpfung, Kundenzufriedenheit, Kundenanspruch und Kundenzugang wurden in zahlreichen Branchen neu ausgehandelt. Kaum eine Branche ist heute nicht betroffen. Alle diskutieren über Disruptoren, Plattformstrategien, Technologieplattformen oder plattformbasierte Geschäftsmodelle. Der digitale Wandel wurde eingeleitet und scheint nicht mehr aufzuhalten zu sein.
Das Problem?
Die Plattform Ökonomie wird von amerikanischen und chinesischen Unternehmen sowie Risikokapitalgebern aus diesen Ländern dominiert. Spotify ist die einzige europäische Plattform von globalem Format. Europa wurde vom digitalen Wandel überrannt und agiert deswegen zunehmend aus der Defensive. Egal wo man hinschaut herrscht Unruhe und Ungewissheit. Die Deutsche Bank ist ein Schatten seiner selbst, die einstmals großen deutschen Energiekonzerne sind auf Tauchgang, Thyssenkrupp sucht eine Identität und Bayer schluckt schwer an der Monsanto Integration. Die europäischen Autokonzerne schauen alle auf sich, obwohl sie wissen, dass Connected und Smart Mobility nur gemeinsam bewältigt werden kann. Ohne eine diskriminierungsfreihe Datenplattform, welche Austausch und Harmonisierung ermöglicht, keine autonomen Autos die miteinander kommunizieren und keine service-getriebene Ökonomie. Kein Konsument hat Lust auf 15 individuelle Mobility Apps für jede europäischer Großstadt.
Zugegeben, die Zeiten sind so unsicher wie nie. Neue (digitale) Technologien entstehen am laufenden Band. Die politische Lage ist für global agierende Unternehmen komplexer denn je, der Aktienmarkt fordert Gewinne und der Druck zu innovieren ist stärker als nie zuvor. Die komplexe und ungewisse Realität macht vor allem den Unternehmen zu schaffen, die zuvor eine über Jahre dominierende Rolle innehatten. Sie konnten bestimmen und der Markt folgte. Die Pfade schienen definiert und die Zukunft war zu plus minus 5% prognostizierbar. Das Geschäftsmodell war linear, die Hierarchie klar definiert, Innovation war eine Frage von Patenten und die Strategie war sowieso perfekt, weil man die besten Produkte im Markt hatte. Doch die alten Gewissheiten gelten nicht mehr. Die schöne neue Welt macht alles anders.
Stark bemängeln muss man daher die fehlende Offenheit der letzten Jahre gegenüber Ungewissheiten und den fehlenden Mut neues auszuprobieren. Die Plattform Ökonomie ist eine Revolution des Geschäftsmodells. Außer SAP hat kein DAX Unternehmen nennenswert auf dieses Modell gesetzt oder Mitarbeitern die Freiheit gegeben Experimente zu starten. Der Fokus liegt auf interner Effizienz, linearen Prozessen und guten Produkten. Nicht auf gemeinsamer Wertschöpfung im Ökosystem oder auf gemeinsam-getriebenen Innovationen. Europa und im besonderen Deutschland hat die IT Revolution kommen sehen und beschlossen sie auszusitzen. Das aber nach einer Welle oftmals weitere und auch größere Wellen folgen, ist nun zu einem echten Problem geworden.
Was kommt als nächstes?
Der Hunger der Plattformen nach Wachstum ist weiterhin ungestillt. Sie expandieren in angrenzende Märkte, erweitern ihr Angebot durch neue Anwendungen oder integrieren vertikal ihre eigene Lieferkette, um mehr Kontrolle über das Angebot auf der Plattform zu erhalten oder um die Ausgaben für klassische primäre und unterstützende Aktivitäten zu reduzieren. Airbnb baut zum Beispiel eigene Hotels, um ihren Kunden eine bessere integrierte “Experience” im Digitalen wie im Analogen zu bieten. Amazon verkauft nicht mehr nur Alles und Cloud-Services, sondern entwickelt unter hohem Kapitaleinsatz ein neues Betriebssystem für den modernen Einzelhandel und optimiert damit gleichzeitig die eigene Logistik und Intralogistik. Amazon Prime und Netflix investieren pro Jahr zweistellige Milliardenbeträge in eigenen Content und Lizenzen, die neue Kunden anlocken, diese aber auch auf der Entertainment Plattform halten soll. Spotify investiert in ein Musikwiedergabegerät für das Auto. Google, Facebook und Amazon investieren in Seekabelinfrastrukturen, um die Performance ihrer Rechenzentren zu optimieren, aber auch um afrikanische und südamerikanische Märkte zu erschließen.
Der Kampf um digitale Märkte hat damit ein neues physisches Level erreicht. Die Digitalen haben erkannt, dass Asset-light Plattformen der erste Schritt zu noch größeren Märkten waren. Denn selbst „disruptierte“ Branchen stecken immer noch in den Kinderschuhen des digitalen Wandels: Der globale Einzelhandel beläuft sich zum Beispiel auf circa 25 Billionen Dollar pro Jahr. Der E-Commerce-Anteil am gesamten globalen Einzelhandelsumsatz betrug 2017 aber nur knapp mehr als 10 Prozent. Ein anderes Beispiel: Nach Angaben von Zalando ist der Fashion Markt in Europa 420 Milliarden Euro groß. Und daran hält Zalando gerade mal 1,2 Prozent. Das langfristige Ziel sind ambitionierte 5 Prozent.
Dieser Gangwechsel sollte von allen tradierten Unternehmen als Chance begriffen werden. Es wird zukünftig nicht mehr darum gehen Software oder Internettechnologien zu nutzen, um Kundenerlebnisse, Einkaufsprozesse oder internen Verwaltungsaufwand durch kapitalschwache service-getriebene Plattformansätze zu optimieren. Es wird darum gehen, die materielle mit der immateriellen Welt zu verschmelzen, um Prozesse in der analogen Welt effizienter und effektiver zu machen. Je mehr Materie dabei eine Rollen spielt, desto größer der Hebel traditioneller Unternehmen und Industrien.
Zugegeben, die großen amerikanischen Digitalunternehmen besitzen eine Datenkompetenz, die schwer abzufangen ist. Der Anteil deutscher Unternehmen an der Plattform Ökonomie liegt zudem maximal im unteren einstelligen Bereich. Doch das kann und sollte sich ändern. Initiativen wie Mindsphere von Siemens, die Daimler und BMW Mobility Service Fusion, Wirecard, die deutsche Aftermarket Branchenlösung Caruso, Aviatar von Lufthansa Technik, Chemondis von Lanxess, XOM Materials von Klöckner oder Axoom von Trumpf zeigen, dass auch deutsche Unternehmen innovativ auf Plattformen und Ökosysteme setzen können.
Auf der Innovationsagenda von Unternehmen sind immer häufiger plattform-getriebene Geschäftsmodelle zu finden. Sie verdrängen in der Strategie die Digitalisierung und Sensorfizierung bestehender Assets und Prozesse. Natürlich war letzteres zwingend notwendig. Man sollte sich aber nicht darauf ausruhen. Jetzt gilt es die Geschäftsmodelle anzupassen, zu schauen, wie man gemeinsam Plattformen initiiert, um alle anfallenden Daten auch zweckgebunden zu verarbeiten.
Zurück zu den Ursprüngen?
Digitale Wertschöpfung folgt anderen Regeln und Dynamiken. Einer der wichtigsten zu falsifizierenden Hypothesen ist daher die Frage, ob Daten der wichtigste Rohstoff der neuen Welt sind.
Die oben gezeigten Plattformunternehmen stehen auch deswegen dort, weil sie Zugang zu umfangreichen Datenquellen besitzen und massiv interne Analytik-Expertise aufgebaut haben. Sie haben erkannt, dass Produkte durch Daten besser werden und Analytik unerlässlich dafür ist. Sie haben nicht nur Kapazitäten intern aufgebaut (und diese teilweise in Europa eingekauft), sondern ihre Systeme so gestaltet, dass sie konsequent Daten generieren. Sie sind die alleinigen Nutznießer ihrer Daten.
Leider hat diese selbstverstärkende Entwicklung dazu geführt, dass aus dem ehemals dezentralisiertem und offenem Internet mehrere geschlossene, abgekapselte und monetarisierte Räume wurden. Diese Räume sind tief in unserer Alltagswelt verwurzelt und formen unsere Lebenswelt. Es ist daher zwingend notwendig, sich über Regulation, Datenhoheit und Netzwerkkontrolle auszutauschen. Auch, weil die allgemeine Wertschöpfung bereits abgewandert ist, da amerikanische und chinesische Digitalakteuere in grundlegenden Bereichen wie der Mobilität oder der Kommunikation führend sind.
Kommt die Regulierungsdiskussion daher zur rechten Zeit? Unbedingt, wenn nicht sogar zu spät. China hat sich während der IT Revolution abgekapselt und einen Plan entwickelt der aufgeht. Europa tut deswegen gut daran, die begonnenen Debatten mit aller Härte zu führen. Allerdings sollten diese nicht auf dem Rücken der Gesellschaft ausgefochten werden und nur spezifischen Lobbies zu Gute kommen.
Auch sollten europäische und deutsche Unternehmen sich langfristigen ökosystem-basierter Innovation öffnen. Gerade wenn wir annehmen, dass Daten ein Schlüssel zu besseren Services und Produkten sind, liegt in der unternehmensübergreifenden Kollaboration eine immense Chance. Gemeinsame Datenpools oder Datenplattformen sind der Schlüssel zu Themen wie Smart Mobility, Smart Logistics, Smart Health und anderen Vertikalen. Wir alle kennen mittlerweile unzählige Anwendungen in diesen Bereichen. Doch es fehlt eine gemeinsame Infrastruktur, auf der Services und Produkte entwickelt werden können. Nur wenn Branchen sich auf Datenplattformen einigen, können Kapazitäten gemeinsam organisiert werden. Nur so können systemische Effizienzen allen zugute kommen.
Von großem Vorteil ist, dass tradierte Unternehmen auf außerordentlichen Rohstoffquellen sitzen. So können zum Beispiel allein die Automobilhersteller auf Zettabytes von In-Car Daten zugreifen. Doch ohne eine gemeinsame Verarbeitung kein intelligenter Verkehr oder geteilte Mobilitätsservices. Die Digitalunternehmen haben sich dementsprechend positioniert. Sie versuchen vor allem das Konsumenteninterface zu besetzen, um Nutzern den Zugang zu ihren Ökosystemen möglichst bequem zu gestalten. Darüber hinaus haben sie vielversprechende datengenerierende Experimente im Bereich selbstlenkende Vehikel gestartet und drängen zunehmend tief in die Autos vor, indem sie mit den Non-Premium Marken Kooperationen eingehen. Das Problem? Sobald die Daten an ihre Ökosysteme angeschlossen werden, bleiben sie in den Ökosystemen.
Aus diesem Grund sind Blockchain oder vergleichbare Ansätze von Interesse. Sie sind der vielversprechenste Weg, um aus den geschlossenen Räumen, die wir Internet nennen, wieder offene, mit einander verbundene Räume zu machen. Zwar wurde das Thema in den vergangen Jahren stark vom Hype getragen. Langfristig hat die Technologie aber das Potenzial vieles zu verändern. Sie könnte die digitale Welt neu ordnen, in dem sie Unternehmen, Privatpersonen und Maschinen die Möglichkeit gibt souverän, diskriminierungsfrei und kontrolliert mit Daten in einem geteiltem Ökosystem umzugehen.
Blockchain Innovationen werden in den kommenden Jahren hoffentlich dazu führen, dass Daten nicht nur intern (auch wenn das schon viele Unternehmen vor Probleme stellt), sondern auch extern mit Partnern und sogar Wettbewerben geteilt werden. Unternehmen könnten sich in einem Ökosystem zusammenschließen und äquivalente Angebote zu Plattformen schaffen, ohne dass ein einziges Unternehmen 99% der gesamten Wertschöpfung einstreicht. Bereits heute arbeiten Startups an dezentralen Lösungen für Computing, Storage und Kommunikation. Innovation in diesem Bereich würden dabei helfen, endlich große und relevante Datenpools zu schaffen. Denn ohne zweckgebundene Daten, keine datengestützte Wertschöpfung.
Mut zur eigenen Zukunft
Das Internet war einmal ein diffuser Ort der Offenheit, der Kreativität und des Austausches. Alles wurde geteilt. Alles war neu und experimentell. Heute ist unser Internet das cleane und auf Hochglanz polierte Intranet von Google, Apple, Facebook, Amazon, Microsoft. Nur wenn wir es schaffen, den frühen Gründergeist wieder aufleben zu lassen, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und dabei Infrastrukturen und Geschäftsmodelle entwickeln, die allen helfen zu partizipieren, kann das Monopol der großen Digitalunternehmen aufgebrochen werden.
Hier liegt die große Chance aller Unternehmen, die sich abgehängt fühlen. Nur wenn man gemeinsam die großen Themen unserer Zeit angeht, können und werden Lösungen entstehen, die mindestens gleichwertig, wenn nicht sogar besser als die Lösungen der Unternehmen sind, die heute den Ton angeben. Auch, weil die Rohstoffquellen für die Themen der nächsten Jahre noch in der Hand von tradierten Unternehmen liegen. Es fehlt einfach ein bisschen Mut, sich eine eigene Zukunft zu schaffen.