Pocket Guide to Digital Transformation #5
Dieser Tage wird viel über 5G, fehlende Mobilfunkmasten und den teuren Breitbandausbau diskutiert. Ein Milliardengeschäft, welches auf wenig Fortschritt, Stillstand und verheerenden Rückschritten fußt. Während wir uns an Versprechungen und Forderungen an Land abarbeiten, investieren die Digitalgiganten unserer Zeit fleißig in den Ausbau physischer Infrastrukturen unter Wasser, die das Rückgrat des globalen Internets bilden. Weniger als 400 Unterseekabel organisieren 99% des transozeanischen Internetverkehrs. Obschon diese noch Konsortien gehören, erhebt GAFAM sukzessive Anspruch und investiert in eigene Glasfasernetzwerke. Der Kampf um kritische Infrastrukturen hat gerade erst begonnen.
Das Internet. Neuland für den Einen. Für den Nächsten sind es fremde Computer und Dinge, zusammengeschaltet in einem Netzwerk, die ständig miteinander kommunizieren. Für den Dritten ist es Facebook oder WeChat. Für die liebenswerte Tante ist es schwarze Magie und für den Fussballkumpel irgendwas mit Cyber, weswegen er nicht bei Facebook ist.
Kaum eine Technologie wird dermaßen alltäglich benutzt, aber so wenig verstanden. Dabei nimmt die Nutzung und damit die verarbeitete Datenmenge Jahr für Jahr exponentiell zu. Im Jahr 2018 haben wir täglich rund 2,5 Millionen Terabyte an Daten erzeugt. Das entspricht etwa 425 Millionen HD-Filmen pro Tag oder einem Turm von 17,5km Höhe, wenn man handelsübliche 1TB SSDs übereinander stapeln würde. Im Jahr 2020 sollen schätzungsweise 1,7 MB Daten pro Sekunde für jeden Menschen auf der Erde entstehen. Cisco prognostiziert für 2022 einen jährlichen globalen IP-Verkehr von 4,8 Zettabyte oder 396 Exabyte pro Monat. Im Angesicht solcher Volumen, ist jeder Vergleich zum Scheitern verurteilt. Es fehlen äquivalente und begreifbare Größen.
Aufgrund der Komplexität hat sich (irgendwie auch verständlich) das Narrativ durchgesetzt, dass das Internet eine Wolke ist. Die „Cloud“ ist ein mystischer und ungreifbarer Ort, in dem sich das Internet trifft, um zu kommunizieren, zu prozessieren und zu speichern. Wir verbinden uns mit ihr. Arbeiten in ihr. Wir speichern dort private Dinge und erfreuen uns am Stream fremder Personen. Wir vertrauen der Cloud, obwohl wir sie nicht verstehen. Sie ist alltäglich. Wir spüren sie nur, wenn sie kaputt ist. „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“
Wenn die Cloud aber etwas ist, dann eine schlechte Metapher. Sie ist nicht „da oben“ zwischen den Satelliten, geformt im Äther von Adepten des Silicon Valleys. Sie ist nicht schwerelos, nicht formlos oder unsichtbar. Sie ist kein magischer Ort, wo alles reibungslos funktioniert. Die Cloud ist eine physische Infrastruktur, zusammengesetzt aus (fehlenden) Mobilfunkmasten, Milliarden von Glasfaserkabelkilometern, Telefonleitungen, Satelliten, energiefressenden und monoton summenden Hallen voller Computer und Unterseekabeln.
Release the Kraken!
Vor allem Kabel in den tiefsten Tiefen des Meeres beschreiben die Cloud besser, als alle Bilder, dir wir mit uns rumtragen. Bis 1988 wurden Kommunikationsdaten hauptsächlich über Satelliten übertragen. Dann wurde das erste Glasfaserkabel im Atlantik verlegt. Heute sind sie unverzichtbar. In diesem Moment reisen mehr als 99% aller internationaler Daten durch ein Geflecht aus faustdicken Glasfasertentakel am Meeresboden der Weltmeere. In den Weiten und Tiefen unserer Ozeane befinden sich rund 400 aktive Glasfaserkabel, die das Rückgrat des Internets bilden. Jährlich werden mehr als 2 Milliarden Euro für den Ausbau und die Instandhaltung ausgegeben. Technologische Innovationen, Forscherdrang und viele Monate der Streckenerkundung haben es in den letzten 200 Jahren möglich gemacht, dass bisher mehr als 1,2 Millionen Kilometer Seekabel in jedem Winkel der Welt verlegt wurden.
Abbildung 1: Eine relativ kleine Anzahl von etwa 400 Kabeln ist für die Übertragung von 99% des transozeanischen Internetverkehrs verantwortlich, TeleGeography Submarine Cable Map
Abbildung 2: Das Eastern Telegraph Company Netzwerk im Jahr 1901. Merke: Neue Infrastrukturen folgen alten Infrastrukturen. Glasfaserkabel folgen Telefonleitungen, die Telegrafenleitungen folgen, die Eisenbahnen folgen.
So liegt ein bierdosendickes pechschwarzes Gummikabel im 8000 Meter tiefen Japangraben. Ein anderes Beispiel ist das von Facebook und Microsoft in Auftrag gegebene 6600 km lange Marea Seekabel, welches Bilbao und Virginia Beach miteinander verbindet. Es liegt an der tiefsten Stelle 5181 Meter unter dem Meeresspiegel, wiegt über 4,5 Millionen Kilogramm und kann 20 TB/s (160 Tbit/s) in Spitze übertragen.
Das exponentielle Wachstum des globalen öffentlichen wie nicht öffentlichen Internetverkehrs hat in den vergangenen Jahren zu einem drastischen Ausbau des Kabelnetzes geführt, sowohl in Bezug auf die Anzahl der Verbindungen als auch auf die Gesamtkapazität. Cisco geht davon aus, dass 2017 durchschnittlich pro Sekunde 46,6 Terabyte durch das Internet flossen, 2022 könnten es bereits 150 TB/s sein. Das durchschnittliche Lebensalter eines Kabels beträgt deswegen auch 25 Jahre. Zwischen 2016 und 2020 sollen, wurden und werden deswegen rund 100 neue Kabel verlegt.
Abbildung 3: Anzahl aktiver Unterwasserkabel (links), Gesamtlänge der derzeit aktiven Unterwasserkabel pro Jahr (rechts). Enthält geplante Kabel bis 2020, Apnic 2019
Trotz hoher Installations- und Instandhaltungskosten (die Kosten für ein Tiefseekabel liegen im Schnitt zwischen 20.000 und 40.000 Dollar je verlegtem Kilometer; möchte man ein Schiff chartern, um Kabel zu verlegen, ist man zwischen 45.000 bzw. 75.000 Dollar am Tag los) sind Kabel billiger und effizienter als Satelliten. Auch wenn Mikro-Satelliten im erdnahen Orbit durch Unternehmen wie Amazon, SpaceX Starlink, Kepler Communications, Astranis, OneWeb und anderen derzeit einen Aufschwung erleben, können selbst die ältesten Kabel große Datenmengen nahe Lichtgeschwindigkeit übertragen. Satelliten hingegen sind teuer, langsam und haben mit hohen Latenzen zu kämpfen.
Abbildung 4: Verlegung des ersten Unterseekabels in New York, welches die Ostküste mit Süd-Europa verband,Bundesarchiv
Doch trotz aller Vorteile, sowie der kritischen Rolle des Seekabelnetzwerks für Wirtschaft und Gesellschaft, wird das Netzwerk weitgehend ignoriert und oder als Black Box behandelt. Eine fahrlässige Einschätzung, wenn man an mögliche Risiken denkt. Wenn „nur“ 400 Kabel für 99% des transozeanischen Sprach- und Datenverkehrs zuständig sind, bedeutet ein Teilausfall Alarmstufe Rot für globale Bandbreiten und Konnektivität. Koordinierte Ausfälle oder gleichgeschaltete Angriffe an bestimmten Kabeln können ganze Regionen aus dem Internet nehmen. Während Fehler auf dem Land zu Leistungseinbußen oder Unterbrechungen führen, können die Auswirkungen von Ausfällen unter Wasser verheerend sein. Auch weil Reparaturmaßnahmen Tage bis Monate in Anspruch nehmen können.
Die Cloud ist ein Machtspiel moderner internationaler Beziehungen um kritische Informationsadern und neue wirtschaftliche Handelsrouten
Neben fehlender Bandbreite, ist mangelnde Infrastrukturzuverlässigkeit einer der Gründe, warum private Unternehmen wie Amazon, Microsoft, Google oder Facebook zunehmend in Seekabelinfrastrukturen investieren. Ihr Geschäft sind datengetriebene Informationsökosysteme. Ohne Zugang zum Internet, kein Umsatz. Es verwundert nicht, dass sie deswegen neben eigenen Cloud-Infrastrukturen auch Seekabel- oder Infrastrukturnetzwerke in Städten betreiben möchten.
Alphabet besitzt zum Beispiel über das Tochterunternehmen Sidewalk Labs die Mehrheitsanteile an LinkNYC. Nachdem Facebook seine Internetdrohnen aufgegeben und wieder reaktiviert hat, spielt das Unternehmen nun mit dem Gedanken, einen Unterwasserring namens Simba um Afrika zu errichten, um die Bandbreitenkosten zu senken und den afrikanischen Markt zu stärken. Viele afrikanische Regionen sind immer noch auf Satelliten angewiesen oder müssen sich auf eine oder zwei Kabelverbindungen stützen, die jederzeit ausfallen könnten.
In den letzten fünf Jahren haben sich die Kabel, die teilweise im Besitz von Google, Facebook, Microsoft und Amazon sind, verachtfacht. Viele weitere solcher Kabel sind in Vorbereitung. Nicht überraschend, wenn man den Verbrauch der Datengiganten zu Grunde legt. Sie beanspruchen knapp über 50% aller internationalen Bandbreiten. TeleGeographygeht sogar davon aus, dass der Anteil bis 2027 auf über 80% steigen könnte. Dabei interessiert Google, Facebook, Amazon und Microsoft weniger der Bedarf des Endkunden, der im Internet surft. Es ist mehr ihr eigener Bedarf, der im Vordergrund steht. Sie brauchen die Kapazitäten für ihre Cloud-Dienste, die auf Rechenzentren zugreifen, die an vielen Stellen der Welt verteilt sind.
Abbildung 5: Investitionen der großen Digitalgiganten in physische Infrastrukturen,TeleGeography
Derzeit halten sich die Beteiligungen von Plattformunternehmen noch in Grenzen. Konsortien und Internet-Backbone Provider (Alcatel, Subcom, NEC und Huawei) teilen sich den Markt. GAFAM fokussiert heute maßgeblich tansatlantische und transpazifische Routen, um ihre Rechenzentren zu verbinden. Doch Routen wie Indien-Singapur oder Europa-Afrika sind bereits in Planung. Ein weiterer wichtiger Treiber kommt aus China: Die neue Seidenstraße wird auch ein neugeschaffenes Netz aus Unterwasserkabeln gebären.
Der Kampf um digitale Territorien und physische Infrastrukturen hat gerade erst begonnen
Neben Plattformmonopolen könnten infrastrukturelle Monopole entstehen, die in der Hand von Digitalgiganten oder starken Nationen liegen. Die Macht, das Kapital und die nötige Weitsicht besitzen sie, um den Weg nicht nur einzuschlagen, sondern auch zu dominieren.
Der Kampf um Einfluss und Kontrolle über die wichtigsten globalen Informationsadern hat längst begonnen. Das Kabelnetz unter Wasser beschreibt neue, dominante wirtschaftliche Handelsrouten. Daten sind dabei die wichtigste Handels- und Transitware. Google, Microsoft und Amazon sowie ihre chinesischen Pendants halten den Löwenanteil an Daten im Cloudgeschäft. Ergo macht sie dies zu den wichtigsten Exporteuren und Importeuren von Daten. Der Gedanke, dass sich diese Unternehmen zu einem Oligopol zusammenschließen, um die Informationsadern, die für sie überlebenswichtig sind, zu besitzen, liegt nahe.
Ein Kartell könnte entstehen, denn Skaleneffekte würden es den Unternehmen ermöglichen, den Endverbraucher mit reduzierten Preisen für ihre Services einzulullen und zu umgarnen. Der direkte Datenaustausch zwischen Unternehmen soll bis 2021 das öffentliche Internet um den Faktor 10 übertreffen. Ein einträgliches Geschäft, wenn man die Handelsrouten und die größten datenverarbeitende Knotenpunkte besitzt. Kleinere (europäische) Wettbewerber hätten hier erneut das Nachsehen. Sie würden zur Kasse gebeten, wenn sie die Kabel und die Bandbreite benötigen. Die wichtigsten Beteiligungen der Deutschen Telekom liegen übrigens fast zwei Jahrzehnte zurück.
Rein theoretisch würde dann auch nichts dagegen sprechen, den kompletten Datenfluss anzuzapfen, damit die Besitzer der Routen und Knoten ihre eigenen Services besser machen können. Eine mittlerweile gängige Praxis. Und nebenbei ein weit geöffnetes Tor für starke politische Akteure.