Business Wars: Netflix vs. Blockbuster

Die Geschichte von Blockbuster und Netflix gehört zu den weit verbreitetsten modernen Sagen. Die geläufigste Überlieferung lautet, dass Blockbuster blind für die aufkeimende Bedrohung namens Netflix war. Man besaß keine Digitalstrategie, setzte auf erpresserische Säumnisgebühren, hätte Netflix für 50 Millionen US-Dollar kaufen können und war nicht agil, obwohl der Markt sich konstant veränderte. Nicht überraschend, könnte man spotten, dass die Firma deswegen ins Chaos stürzte und bankrott ging. Doch die wahre Geschichte hinter dem Niedergang von Blockbuster ist eine ganz andere. Sie handelt nicht vom blauäugigen CEO John Antioco, sondern von einem nahezu perfekten Konter, mit klaren Zielen, Plänen und sogar ausreichend Ressourcen, um Netflix zu schlagen. Eigentlich hätte Blockbuster das Spiel gewinnen müssen. Doch ein fehlendes geteiltes Verständnis für die neuen Regeln und Dynamiken innerhalb des Unternehmens wurde der Führungsmannschaft von Blockbuster zum Verhängnis. Nicht Netflix sorgte für den Niedergang von Blockbuster. Das Unternehmen schoss sich ins eigene Knie.

Blockbuster – Der taumelnde Riese

Beginnen wir mit der Person, die die Hauptrolle in dem Drama spielt. John Antioco, Sohn eines Milchmannes aus Brooklyn, New York, ist smart und ambitioniert. In seiner Jugend begann er bei 7-Eleven als Management-Trainee und arbeitete sich bis zum Senior Vice President hoch. Er wechselte als CEO zum strauchelnden Unternehmen Circle K und drehte das Unternehmen innerhalb von drei Jahren auf den Kopf. Es folgte unter anderem eine Anstellung bei Taco Bell, damals auch bekannt als Taco Hell“, wo er ebenfalls innerhalb von drei Jahren rückläufige Umsätze in nachhaltiges Wachstum verwandelte.

Als Antioco 1997 zum CEO von Blockbuster Video ernannt wurde, schien er der richtige Mann für den Job zu sein. Nach exponentiellem Wachstum in den 80ern unter David Cook, hatte das Unternehmen zum ausgehenden Jahrtausend einige falsche Entscheidungen getroffen. Man tat sich darüber hinaus mit den neuen Technologien namens DVD und Internet extrem schwer.

Doch Blockbuster’s größte Problem war das Geschäftsmodell. Der Verleiher musste die Filmstudios im Voraus bezahlen, ohne zu wissen, ob der Film ein Hit wird, und einen Film im Schnitt mehr als 30 mal verleihen, um überhaupt an Profit zu denken. Als Gegenvorschlag auf dieses disparate Kräfteverhältnis entwickelte Antioco ein Revenue-Sharing Modell, bei dem die Filmstudios die Filmkassetten für weniger als 1 US-Dollar an Blockbuster verkauften, dafür aber 40 Prozent der Verleihgebühren erhielten. Ein Win-Win Arrangement für alle Beteiligten. Blockbuster reduzierte das Risiko, verbesserte ihre Kapitaldecke und die Filmstudios erhielten wiederkehrende Umsätze. Mit dem neuen Modell florierte das Blockbuster Geschäft erneut. 1999 ging man an die Börse und erlöste 465 Millionen US-Dollar. Antioco hatte aus einem strauchelnden Unternehmen eine gut geölte Maschine geformt.

Netflix – Eine Idee, die nie hätte funktionieren dürfen 1

Fast genauso beliebt wie Disruptionslegenden sind Origin Stories“. Die Art von Geschichten, in denen rauflustige Digitalhelden am Abend eine Was wäre, wenn wir das komplett anders machen würden als die alteingesessene Branche?“ Diskussion führen und eine Epiphanie erfahren: Brian Chesky, Nathan Blecharczyk und Joe Gebbia konnten sich zum Beispiel ihre Miete in San Francisco nicht leisten, also gründeten sie Airbnb und vermieteten über ein Webinterface eine Luftmatratze in ihrem Appartement. Oder nehmen wir Travis Kalanick. Er nahm an der LeWeb-Technologiekonferenz 2008 in Paris teil, wo er StumbleUpon-Gründer Garrett Camp traf. Dieser erzählte ihm von einer 800 Dollar teuren Fahrt an Neujahr, und wie man durch das Teilen der Kosten Mobilität in Städten erschwinglicher machen könnte.

Die Origin Story von Netflix beginnt im Jahr von Antioco’s Blockbuster Antritt. Angeblich betrat 1997 ein 37-jähriger Informatiker namens Reed Hastings eine Blockbuster-Videothek, um nach Ablauf der Ausleihfrist eine VHS-Kopie von Apollo 13 zurückzugeben. Nachdem er 40 US-Dollar an Säumnisgebühren zahlen musste, dachte er sich Was wäre, wenn es keine Säumnisgebühren gäbe?“ und kam auf die Idee Netflix zu gründen.

Nach Marc Randolph, Mitgründer und erster CEO, ist die Geschichte zwar emotional wahr — und sie beinhaltet auch eine zu spät abgegebene Apollo 13 Kopie — aber sie hatte nichts mit Säumnisgebühren zu tun. Im Gegenteil, Netflix hat sie sogar zu Beginn selbst erhoben. Die Realität ist etwas komplizierter und weit von der romantischen Idee des Genius entfernt.

Um es kurz zu machen: 1997 hatte das von Reed Hastings geleitete Software Unternehmen Pure Atria das von Marc Randolph mitbegründete Kleinunternehmen Integrity QA gekauft. Ein weiterer anstehender Merger ließ beide voraussichtlich arbeitslos werden, also tauschten sie sich regelmäßig über neue Geschäftsideen aus. Vor allem Randolph war auf der Suche nach dem nächsten neuen großen Ding. Er führte immer ein Notizbuch mit sich, in dem er Geistesblitze“ notierte. Irgendwann diskutierten die beiden über personalisierte Produkte. Man war sich schnell einig, dass Standardprodukte, die immer wieder benutzt werden, besser fürs Geschäft sind. Nach Zahnpasta und Shampoo (eine alte Idee von Randolph) kam man auf Videokassetten. Hastings hatte erst kürzlich schlechte Erfahrungen mit Blockbuster gemacht und begann sich daher für die Idee zu erwärmen.

Man rechnete das Modell durch und stellte fest, dass der Versand von VHS Kassetten viel zu teuer sei. Man hätte einen Film achtzig Mal ausleihen müssen, um einen Profit zu generieren. Also schielte man auf die damals aufstrebende DVD Technologie. Diese war zwar 1997 außerhalb von Japan noch nicht im Markt, Randolph begeisterte sich aber für die geringen Ausmaße. Zudem war der VHS-Verleih durch Blockbuster in Amerika besetzt. Also entschied man sich für die Zukunftstechnologie“ und startete Experimente mit der Post, denn DVDs konnten für 32 US-Cent verschickt werden. Ein Riesenvorteil gegenüber den klobigen VHS Kassetten. Man beschloss auf die DVD Technologie zu setzen, auch aufgrund des Early Mover Advantage und der Tatsache, dass Early Adopter nachsichtiger sind, als die breite Masse. Als Startkapital setzte man 2 Millionen US-Dollar fest. Eine Million für die Entwicklung der Website und eine Million für den Betrieb des Unternehmens. Glücklicherweise hatte Hastings in seiner Vergangenheit genügend Geld verdient und ließ sich sofort für die Idee als Angel Investor gewinnen.

Knapp ein Jahr später, am 14. April 1998 erblickte Netflix.com das Licht der Welt. Die erste Online-DVD-Vermietung der Welt ging mit einem Sortiment von 925 Filmen online.

Randnotiz: In einer Vorahnung der Zukunft trafen wenige Monate nach dem Launch Randolph und Hastings in Seattle auf Jeff Bezos. Amazon war 1997 an die Börse gegangen und liebäugelte mit einem Kauf des damals noch jungen Unternehmens. Die Gespräche verliefen gut. Man besprach sogar einen Preis zwischen 14 und 16 Millionen Dollar. Letztlich scheiterte die Übernahme aber an Hastings, der 70 Prozent am Unternehmen hielt. Ein Bauchgefühl sagte ihm, dass in Netflix großes Potenzial schlummerte. Also entschied man sich gegen den Deal. Und um gegen Amazon im Wettbewerb zu bestehen, musste Netflix lediglich einen Weg finden, wie man DVDs nicht verkauft — was 1998 die Haupteinnamequelle gewesen ist — sondern effizient verleiht.

Disruptive Innovation trifft auf starre Beharrungstendenz

Die Dinge für Netflix entwickelten sich gut. Man ging Deals mit DVD-Player Herstellern ein und wuchs stetig. Nach und nach fand auch die DVD-Technologie ihren Weg in den Markt. Im September 1999 wechselte man testweise zu dem charakteristischen Flatrate-Preismodell für 15,99 US-Dollar. Das neue Leistungsversprechen versprach die Leihe von unbegrenzten Titeln (maximal vier Titel gleichzeitig) ohne Verspätungsgebühren und ohne Porto- oder Bearbeitungsgebühren. Im Februar 2000 nahm man dann den Verleih von Einzelobjekten komplett aus dem Programm, um sich voll und ganz auf das neue Geschäftsmodell zu konzentrieren und Verwirrungen zu vermeiden.

Der Mangel an Größenvorteilen (kein Markt, keine Vielfalt im Produktangebot, geringe“ Nachfrage) hemmte jedoch das Wachstum. Finanzielle Schwierigkeiten veranlassten Netflix im September 2000 einen Termin mit dem großen Konkurrenten Blockbuster zu vereinbaren, um eine Partnerschaft und oder eine Übernahme zu diskutieren. Die Idee war, dass Netflix die Marke Blockbuster online vertreten würde und Blockbuster dafür Netflix in seinen Geschäften bewirbt. Aber Blockbuster und Antioco lehnten das Angebot ab. Ihr Geschäft lief wie geschmiert. Netflix war nur ein kleiner Fisch und eine vergleichbare Kooperation zwischen Amazon und Toys „R Us floppte kolossal. Man dominierte den Markt, sah also keinen Grund für wagemutige Dot-Com Experimente. Man war sich einig, dass die neuen Geschäftsmodelle sowieso nur Geld verbrannten. Auch das Angebot, Netflix für 50 Millionen US-Dollar zu kaufen, wurde mit einem süffisanten Lächeln abgelehnt.

Auch wenn Netflix zu der Zeit viel Geld blutete (die User Acquisition Costs lagen 1998 bei 300 US-Dollar pro Nutzer), hatte man im Gegensatz zu Blockbuster keine lokalen Filialen (was zu Beginn durchaus ein Nachteil war) und dementsprechend relativ geringe Betriebskosten. Durch die Zentralisierung, den Postversand, das Online-Interface und das Empfehlungssystem namens CineMatch konnte man jedoch dem Kunden bessere Vorschläge als Blockbuster anbieten. Überdies attackierte man die Achillesferse von Blockbuster mit dem Flatrate Modell, weil man auf Säumnisgebühren verzichtete.

Die Kunden verliebten sich deswegen sofort in den neuen Service, obwohl das System zu Beginn etwas langsamer als Blockbuster war — man war immerhin auf die Post angewiesen — und spontane Netflix&Chill Abende nur bedingt möglich gewesen sind. Nach und nach überzeugte Netflix aber einen Kunden nach dem anderen und aus dem Early Adopter wurde eine Early Majority.

Der Teufel steckt im Detail

Heute werden Hastings und Randolph oft als Genies und Antioco als Narr dargestellt, der das Offensichtliche nicht kommen sah. Sicherlich auch, weil das von Netflix angestrebte und erfolgreich umgesetzte Modell exemplarisch für das Christensen’sche Modell der disruptive Innovation“ steht. Um im Wettbewerb mithalten zu können, hätte Blockbuster das eigene Geschäftsmodell radikal verändern und Profitabilitätseinbußen in Kauf nehmen müssen. Nun könnte man die Geschichte hier beenden. Disruption passiert und trifft die besten. Die Wahrheit ist jedoch viel komplexer und beunruhigender.

Im Mai 2002, vier Jahre nach der Gründung, war Netflix immer noch nicht profitabel. Der Gang an die Börse war der einzige Weg, um Geld aufzunehmen (damals existierten noch nicht so viele Venture Capital Fonds). Netflix erlöste 82,1 Millionen US-Dollar, bei einer Bewertung von 309,7 Millionen US-Dollar. Das Unternehmen konnte das frische frisches Kapital dringend gebrauchen, auch weil Amazon, Walmart und Blockbuster ankündigten, in die Nische von Netflix vorzudringen. Glücklicherweise waren es damals nur Ambitionen, denn Taten ließen die Wettbewerber erst einige Jahre später folgen. Das gab Netflix Zeit, ihren Empfehlungsalgorithmus CineMatch zu verbessern. Das System übte großen Einfluss auf die Kunden aus, wie Reed Hastings im Dezember 2002 in einem Wired Feature beschrieb:

The average video store generates 80 percent of rental activity from 200 titles. Netflix encourages subscribers to rate the movies they’ve viewed, and CineMatch recommends titles similar to those well liked — regardless of a film’s popularity at the box office. As a result, the average renter expands his or her tastes. Seventy percent of the movies Netflix customers rent are recommended to them on the site; 80 percent of rental activity comes from 2,000 titles.

CineMatch entwickelte ein Leistungsversprechen für Kunden, aber auch für Filmstudios. Denn Netflix half dabei die Popularität von Titeln mit geringem Marketingbudget zu steigern. Die Tatsache, dass von CineMatch empfohlene Titel ohne zusätzliche Kosten ausgeliehen werden konnten, ermöglichte es Netflix glaubwürdig gegenüber Filmstudios aufzutreten. Das datengetriebene Modell schuf einen Anreiz für Studios und Vertriebspartner, sich mit Netflix auf ein neues Revenue-Sharing-Modell zu einigen. CineMatch warb für Filme unter Vertrag und ignorierte alle anderen. Damit konnte Netflix endlich skalieren.

Eine Offensivstrategie ist nur erfolgreich, wenn die gesamte Mannschaft mitspielt

Und Blockbuster? 2004 wurde das Unternehmen aus dem Mutterkonzern Viacom ausgeschält und Antioco besaß plötzlich Gestaltungsspielraum. Fast 60.000 Mitarbeiter arbeiteten zu diesem Zeitpunkt für Blockbuster. Das Unternehmen konnte auf ein Netz von 8.000 Filialen zurückgreifen. Zudem hatte Antioco die von Netflix beschworene Bedrohung erkannt und schmiedete einen fabulösen Plan. Er senkte die Preise unter das Niveau von Netflix, verabschiedete sich von den Säumnisgebühren — ein großer Schritt, immerhin trugen die Gebühren maßgeblich zum Umsatz bei: im Jahr 2000 hatte Blockbuster 800 Millionen US-Dollar durch Gebühren eingenommen — und investierte in eine Online-Plattform namens Total Access.

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Seine Strategie und Taktik schlug ein. Total Access wurde von allen Seiten für die außerordentliche User Experience gefeiert. Das System ermöglichte es Kunden, Videos, DVDs und andere Dinge online zu mieten und in den Geschäften abzuholen oder zurückzugeben. Etwas, das Netflix nicht bieten konnte. Das Modell gewann an Fahrt, Netflix verlor Kunden an Blockbuster, der Aktienkurs des Unternehmens erholte sich einigermaßen — auch wenn er nie den Hochstand aus dem Jahr 2003 erreichte — und schon bald konnte Blockbuster schneller als Netflix neue Kunden akquirieren.

Obwohl Antioco einen erstklassigen Konter fuhr, verpuffte er jedoch im Ansatz, weil ihm seine Shareholder Bleimanschetten umlegten. Sie mochten die mit dem Programm verbundenen Kosten — etwa 200 Millionen Dollar für nicht erlöste Verzugsgebühren und weitere 200 Millionen Dollar für den Launch von Total Access — nicht, da sie schädlich für die Rentabilität waren. Die Shareholdern maßen Erfolg in Profit, nicht in Online-Abonnenten oder Marktanteil. Und zudem fürchteten die Franchisenehmer um ihren Umsatz im lokalen Einzelhandel.

Schließlich begann der berühmt-berüchtigte Investor Carl Icahn die Kompetenz und Strategie von Antioco in Frage zu stellen. In der Folge verlor Antioco das Vertrauen des Vorstands. Die Situation spitzte sich dann im Jahr 2007 zu, als Antioco nach einem Gehaltsstreit entlassen wurde.

Umsätze von Blockbuster und Netflix

Die Entscheidung fiel in die Zeit, in der Netflix ihr Angebot um Streaming ergänzte. 2002 lagen die Kosten für einen Stream in DVD-Qualität noch bei circa 30 US-Dollar. Echtzeitstreaming war zudem nicht massentauglich. Hastings hatte das Potential aber erkannt — auch durch den frühen Erfolg von Youtube — und man investierte deswegen in den Roku-Player, der Filme über Nacht laden konnte. Eine mutige, aber gewinnbringende Entscheidung. Mail-Ordering hatte man zu dem Zeitpunkt perfektioniert, nun wagte man sich an das wirklich disruptive Geschäftsmodell.

Man ging davon aus, dass Streaming noch fünf bis zehn Jahren brauchen würde, bis man parallel zu den DVDs auch Downloads und Streams anbieten könne. Doch es ging schneller als man dachte. 2007 schaltete man den Streaming-Service im amerikanischen Markt live. Es waren zwar nur 1% der DVD-Titel verfügbar (ca. 1000 Titel), aber der Service war für Netflix-Abonnenten kostenlos. Das Angebot skalierte (technologische Infrastrukturen verbreiteten sich rasant und neue Devices kamen auf den Markt) und der Wettbewerb (Hulu und Amazon Prime) zog nach, was insgesamt förderlich für den Wettbewerb war.

Blockbuster hingegen hatte andere Pläne. Als Nachfolger von John Antioco wurde 2007 James W. Keyes eingesetzt, der den von Antioco eingeschlagenen Weg rückbauen sollte, um die Profitabilität wieder zu steigern. Keyes sagte damals zu Shane Evangelist, Senior VP und GM von Blockbuster Online:

The online business is killing Blockbuster. You spent $450 million marketing total access and you’re way over-budget. I’m cutting off your marketing budget so we can focus on the stores.

Keyes schlug vor, TotalAccess zu begraben. Trotz aller Vernunft wollte man zur guten alten Zeit zurückkehren. Keyes konzentrierte sich fortan auf die Franchise-Unternehmen, den lokalen Einzelhandel und die Services vor Ort, konnte damit aber nicht den Niedergang aufhalten und führte das Unternehmen drei Jahre später in den Konkurs. Der Versuch die Blutungen im Marketing zu stopfen, öffnete eine Arterie, welche letztendlich zu einer tödlichen, selbst zugefügte Wunde führte.

Blockbuster, 2010, by angelo Yap

Im Rückblick sieht man immer alles klarer, deswegen schwächte Carl Icahn seine Einschätzung von Antioco einige Jahre später ab. Im Jahr 2011 meinte er, dass er zwar immer noch Blockbuster als die schlimmste Investition, die ich je getätigt habe” betrachtete, Antioco bei der Ausführung des Total Access-Programms aber gute Arbeit geleistet hat.“

2010 beantragte Blockbuster den Konkurs. Man verlor in diesem Jahr circa 1,1 Milliarden US-Dollar und der Wert des Unternehmens sank auf 24 Millionen US-Dollar. Netflix hingegen konnte seine Bewertung auf rund 13 Milliarden US-Dollar steigern. 2011 wurde Blockbuster dann von Dish Network, dem drittgrößte Pay-TV-Anbieter in den USA für circa 320 Millionen Dollar übernommen. Die allerletzte Blockbuster Filiale befindet sich heute in Bend, Oregon.

Es gibt keine einfachen Antworten auf komplexe Probleme

Der Unterschied zwischen Trend nicht erkannt und die leitende Führung hat zwar eine tragfähige Strategie entwickelt, war aber nicht in der Lage interne Kräfte bzw. Netzwerkeffekte zu managen ist gewaltig. Die erste Geschichte liefert eine einfache Antwort, die andere hingegen ist subtil und komplex.

Was die Geschichte von Blockbuster zeigt, ist, dass eine gute Strategie und eine gute Taktik nicht ausreicht. Man muss immer interne wie externe Kräfte managen, die man selbst nicht unter Kontrolle hat. Blockbuster war eine sehr gut funktionierende Maschine. Selbst der Konterangriff war richtig geplant und ausgeführt. Doch der Abschluss scheiterte an den Shareholdern, die möglicherweise nicht richtig mitgenommen wurden. Für sie standen die Zielsetzungen Rentabilität und Profitabilität über allen Dingen. Sie verstanden nicht, dass ein vollkommen neues Geschäftsmodell auch neue Metriken und Bedingungen benötigt. Vielleicht konnten sie sich auch nicht vorstellen, dass man mit dem neuen Geschäftsmodell tatsächlich Geld verdienen konnte. Also führten die internen Spannungen sowie ein fehlendes geteiltes Bewusstsein für die von Netflix ausgehende Bedrohung zu einem negativen Kaskadeneffekt, der schlussendlich zur Entlassung von Antioco führte.

Transformationsprozesse sind nicht nur Strategie und Ausführung, sondern beinhalten auch einen kommunikativen Aspekt. Ohne ein tiefes und kritisches Verständnis für neue Dynamiken und Marktkräfte kann kein Vertrauen und damit Sicherheit für Experimente aufgebaut werden. Gerade dann, wenn man ums Überleben oder gegen einen deutlich wendigeren Gegner, in einem neuen Markt, kämpft, sollte man sich ständig über neue Zielsetzungen, Werte und Leitbilder austauschen. Man darf nicht auf alte Statuten, Meinungen und Ansichten bestehen, sonst verliert man seine Beweglichkeit und hemmt sich selbst. Wandel ist hart und Veränderungen sind schwer. Die Realität ist dreckig und ständig in Bewegung2. Doch die Geschichte hat gezeigt, dass Modifizierung, Abkehr und Neuausrichtung auch unter den widrigsten Bedingungen möglich ist.


  1. In diesem Monat sind die Netflix Memoiren That will never work – The birth of Netflix and the amazing life of an idea von Marc Randolph über die frühen Unternehmensjahre erschienen. Eine empfehlenswerte Lektüre. Wir hatten zudem Reed Hastings in unserem hy Podcast zu Gast. In der Folge spricht er über den Aufstieg von Netflix und neue Herausforderungen. Hier bei Soundcloud, hier bei Spotify und hier bei Apple zu hören.
  2. Zur Realität gehört auch, dass Blockbuster im Jahr 2004 circa 85.000 Menschen eine Arbeitsstelle gegeben hat. Netflix beschäftigt heute nur 5.500 Personen. Das ist die Realität der Automatisierung. Viele Jobs werden durch wenige ersetzt. Und die wenigsten der 85.000 wurden Software-Entwickler.