Deutschlands Innovationsproblem
Eine Innovation entsteht häufig aus einer neuen und kreativen Idee heraus. Kopiert man beispielsweise ein Gericht aus einer Sterneküche, hat man nichts neues oder kreatives geschaffen. Gründet man einen Amazon ähnliches E-Commerce Venture, hat man nur ein Geschäftsmodell kopiert. Wirkmächtig wird die kreative Idee, wenn sie eine gewisse Einzigartigkeit vorzuweisen hat und in einem großen Empfängerkreis einen nachhaltigen Wert stiftet. Erst wenn die Idee von einem Markt oder einer Gesellschaft angenommen und benutzt wird, wird aus einer innovativen Idee eine Innovation, die möglicherweise sogar radikal oder disruptiv wirken kann. Spitzenköche zeichnen sich durch einzigartige Zutatenkombinationen aus, nicht durch das Kopieren der Gerichte ihrer Kollegen.
Doch sich die tollsten Ideen auszudenken, macht einen noch lang nicht zu einer innovativen Person. Man muss seine Ideen auch verkaufen. An Kunden, seine Peers, seine Leser, die Wissenschaft oder an den Markt. Im konstruktiven Austausch und in der Beziehung passieren dann innovative Dinge. Wenn Ideen Spaß miteinander haben, sich anpassen, sich streiten oder sich vermehren entstehen Innovationen, die nachhaltig wirken.
Unser Problem hierzulande ist, dass wir extrem gut darin sind innovative Ideen zu haben. Häufig erreichen diese aber nicht das nächste wertstiftende Level. Und wenn sie es tun, sind sie häufig direktional gepolt. Sie beschränken sich auf die Optimierung des Bestehenden. Selten überschreitet die deutsche Innovation die Grenzen des eigenen Unternehmens oder die Türschwelle der eigenen Branche.
Zugegeben, oft sind die innovativen Ansätze und Produkte ungemein kreativ, gar überraschend und faszinierend. Wir bauen mit Vorliebe hochqualitative Premiumprodukte mit Anspruch. Made in Germany bedeutet Vorsprung durch Technik. Es liegt ein gewisser Genius in einem durch und durch zu Ende gedachten Produkt. Man erkennt das Innovationspotential und kann auch die Kraft der Veränderung regelrecht spüren. Teilweise meint man neue Pfade, gar neue Wissenschaften und Lebensbereiche ausmachen zu können. Doch das ist die Ausnahme. Uns fehlt im Allgemeinen der Resonanzboden und die Geduld für wirklich kreative und vor allem neue Innovationen für die breite Masse. Wir kümmern uns lieber um das Nächstmögliche. Und wenn dann plötzlich eine neue Strategie den Markt betritt oder dem Branchenprimus nacheifernde Produkte auf den Markt kommen, die zudem noch günstiger und benutzerfreundlicher sind, wird es eng. Optimieren kann man dann nicht mehr viel. Und so bleiben uns zwar viele innovative Ideen, aber keine wahren Innovationen. Diese entstehen erst, wenn die bei uns geborenen Ideen auf Reisen gegangen sind, um sich anderorts niederzulassen. Dort wo sie Feedback bekommen und sich reiben können. Unsere Beharrungstendenz hat die Folge, dass irgendwer Reibach macht, nur nicht der innovative Ideenhaber aus Deutschland.
TerraVision – Das Google Earth vor Google Earth
Exemplarisch dafür steht eine Episode aus den frühen 1990er Jahren. Man mag es kaum glauben, doch damals begann die Deutsche Telekom bereits das Breitbandglasfasernetz in Berlin auszurollen. Um das Potential der neuen Kommunikationsinfrastruktur aufzuzeigen, bat man die Designagentur ART+COM eine Anwendung dafür zu entwickeln. ART+COM wandte sich ab 1991 in Berlin der Entwicklung eines „Planetenbrowsers“ zu, der Informationen ortsbezogen darstellen sollte. 1994 stellte man die erste Demo von »TerraVision« in Kyoto auf der ITU-Konferenz vor. 1996 wurde die Technologie zum Patent in den USA angemeldet.
TerraVision war der erste digitale Globus, der ein virtuelles 1:1 Abbild der Erde, auf Basis von topografischen Rasterdaten in Verbindung mit Satellitenaufnahmen, Luftbildern und Höhen- und Wetterdaten der Erde, abbildete. Bedient wurde das System mit einem globusartigem Interface names Earthtracker, der es Nutzern ermöglichte jeden Punkt der Erde anzusteuern. Darstellung und Auflösung des Systems war abhängig von den vorhandenen Satelliten- oder Luftbilder. Separate Datenlayer — für georeferenzierte Ereignisse auf und über der Erde — konnten ebenso statisch und dynamisch eingebunden und angezeigt werden, wie Websites, Telefonanschlüsse oder Live-Cams. Das System wurde auch zur Visualisierung der damals noch in der Entwicklung befindlichen Planung des neuen Berliner Stadtzentrums eingesetzt.
Klingt bekannt? Nun, Google Earth lässt grüßen. Die Verbindungen sind sogar so eng, dass ART+COM 2014 in den USA Patentklage gegen Google eingereicht hat. 1995 stellte man die Installation auf der SIGGRAPH in Mountain View vor. Michael T. Jones, der damalige Chefentwickler von Silicon Graphics (SGI) kam dort mit der Installation in Kontakt. Er nutzte darauf TerraVision, um die Power der SGI Computer zu demonstrieren. Später gründete er das Unternehmen Keyhole Inc, welches 2001 die Anwendung »Earth Viewer« entwickelte, die 2004 nach dem Verkauf des Unternehmens an Google in »Google Earth« umbenannt wurde. Der spätere Chef der Google Geo Group und Vice President of Engineering von Google Maps, Brian McClendon, arbeitete ebenfalls wie Jones bei SGI, investierte in Keyhole und begleitete dort später das Amt des VP Engineering. Mit der Übernahme wurde Jones zum Technikchef von Google Earth und sprach mit ART+COM im Jahr 2006 über einen Kauf des Patents oder gleich der ganzen Firma. Allerdings hatten die Google-Juristen das Patent als „nicht entscheidend“ eingestuft und zudem war der vom Internetkonzern gebotene Preis ART+COM zu niedrig. Der Ausgang des Rechtsstreit ist unbekannt.
Das leidliche Lied über die abgewanderte Wertschöpfung
Rückblickend ist man immer schlauer und natürlich war die Infrastruktur damals noch nicht reif für ein TerraVision der breiten Masse. Dennoch steht die Entwicklung beispielhaft für das Versagen deutsche Inventionen und Innovationen zu monetarisieren. Im Land der Dichter, Denker und Erfinder wandert die Wertschöpfung regelmäßig nach der Invention komplett ab. Zwar können wir Premiumprodukte, Hardware, B2B und hochwertige Technologie-Demos. Doch Services für die breite Masse können wir nicht. Je mehr sich über digitale Kanäle abspielt und je näher man dem Endkunden kommt, desto erfolgloser werden wir. Alles muss fertig sein. Optimiert wird nur das Nächstmögliche. Neues findet man eher selten. Der Samuel Beckett’sche Modus „Ever tried, ever failed, no matter, try again, fail again, fail better“ entspricht einfach nicht unserem Wirtschaftsstil.
Uns ist die Handwerkskunst des Geschäftsmodells abhanden gekommen. Die Vermarktung übernehmen andere. Für die breite (digitale) Masse produzieren deutsche Unternehmen immer seltener. Das kann auch nicht funktionieren, wenn man sich nur auf den deutschen Markt und alte Landkarten beschränkt. Hier muss ein Umdenken einsetzen, denn die Welt ist global und vernetzt. Sie dreht und erfindet sich täglich neu.