Paid Content – Wie steht es um die Bezahlmodelle deutscher Verlage?

Covid-19 hat auch in der Zeitungsbranche für signifikante Veränderungen gesorgt. „Corona löst Nachrichtenfieber im Internet aus“ titelte eine Pressemitteilung des IVW im April 2020. In einem Bericht des NDR vermeldete die SZ für März 2020 eine Steigerung der digitalen Zugriffszahlen von 80% im Vergleich zum Vormonat. Die Zeit vermeldete 91 Prozent mehr Visits als im März des Vorjahres.

Während viele Tageszeitungen ihre Online-Reichweite in den letzten Monaten deutlich ausbauen konnten, ist die Auflage der nationalen und regionalen Print-Zeitungen auch im zweiten Quartal 2020 weiter gesunken. Da leider nur wenige Verlage Print- und (!) Online-Abonnements ausweisen, haben wir mit BILD, Süddeutscher Zeitung, WELT, der Rheinischen Post und den Kieler Nachrichten fünf Medien als Stichprobe analysiert.

Und auch in den nächsten Jahren wird der Print-Auflagenschwund bei den Tageszeitungen aller Voraussicht nach anhalten. Laut Statista fällt die Gesamtauflage von sechs führenden überregionalen Zeitungen von 2020 bis 2025 um weitere 27%. Und doch hatten von den etwa 350 Tageszeitungen und Wochenzeitungen in Deutschland laut dem Bundesverband Digital-Publisher und Zeitungsverleger e.V. (BDZV) im April 2020 erst 228, und damit etwa zwei Drittel, ein Monetarisierungsmodell für ihren Online-Content eingeführt.

Jedoch ist sich auch das verbleibende Drittel über die Notwendigkeit eines digitalen Paid-Content-Modells bewusst. 98% aller Verlage schätzen deren Relevanz als hoch oder existenziell ein. Sie alle wissen, dass nachhaltiger Qualitäts-Journalismus nicht allein aus Werbeerlösen zu betreiben ist – vor allem nicht online. Fast das gesamte verbleibende Drittel plant die Umsetzung eines Bezahlmodells bis zum Jahr 2023.

Damit steht auch unter den Zeitungsverlagen „Digital First“ vor der Durchsetzung. Man trauert den einbrechenden Print-Umsätzen nicht mehr nach, sondern setzt dezidiert auf wachsende Online-Vertriebserlöse, d.h. den kontinuierlichen Ausbau von qualitativ hochwertigen Digital-Angeboten für Leser, die eine Bezahlung bzw. ein Abonnement rechtfertigen.

Die Verlage, die bereits ein Bezahlmodell für ihren Online-Content eingeführt haben, konnten sich speziell dieses Jahr über kontinuierlich steigende Abonnentenzahlen freuen (vor allem, wenn sie ihr Bezahlmodell für den Online-Content unabhängig von einem Print- oder E-Paper-Abo gemacht haben). BILD, WELT und Kieler Nachrichten haben allein im ersten Halbjahr 2020 7% Abonnenten-Zuwachs generiert. Die SZ von April bis Juni 2020 sogar 55%.

Abb. 2: Abo-Zuwächse für Online Paid Content der in Abb.1 angegebenen Verlage. Grafik: Axel Springer hy; Quelle: IVW; Ausweisung Quartalsweise; eigene Berechnung // Die SZ konnte von April bis Juni +55% Abonnenten verzeichnen und wurde nicht in die Berechnung der Gesamtwachstumsrate von 7% einbezogen. Die RP berichtet erst seit Juni 2020 Abonnenten und ist ebenfalls nicht im Gesamtwachstum enthalten.

Freemium unter allen Bezahlmodellen der Favorit

Bei den von den Verlagen verwendeten Bezahlmodellen für Online-Content haben sich über die letzten Jahre folgende etabliert:

  • Freemium: 20-50% der Artikel stehen hinter der Bezahlschranke, alle anderen sind frei abrufbar (z.B. BILD)
  • Metered: Eine vordefinierte Anzahl an Artikeln kann frei abgerufen werden, anschließend erscheint die Bezahlschranke (z.B. Weser-Kurier)
  • Harte Paywall: Artikel lassen sich nur nach Abschluss eines Abonnements abrufen (z.B. Zevener Zeitung)
  • Freiwilliges Modell: Alle Artikel sind frei abrufbar, der Leser bezahlt nur, wenn er möchte (z.B. die taz)
  • Hybride Modelle, z.B. eine Kombination aus Freemium und Metered (z.B. Pforzheimer Zeitung)

Auf den Seiten des BDZV lässt sich nachvollziehen, dass 64% aller Verlage ein Freemium-Modell eingeführt haben, weitere 13% ein hybrides und jeweils 11% eine harte Paywall bzw. ein Metered Modell. Das freiwillige Modell spielt so gut wie keine Rolle. Das Charmante am von den Verlagen bevorzugten Freemium-Modell ist die Tatsache, dass es sich nicht auf Reichweite und Werbeerlöse auswirkt und eine klare Kommunikation Richtung Leser bzgl. der zusätzlichen Wertigkeit der Bezahlartikel ermöglicht. Das ist beim Metered Modell schon schwieriger, wenn man argumentieren muss, warum der zehnte Artikel, und sei es der Wetterbericht, auf einmal kostenpflichtig ist. Die harte Paywall und das freiwillige Bezahlmodell lassen hingegen nur bei den treuesten Lesern auf eine Conversion hoffen. Zusätzlich führt die harte Paywall in den meisten Fällen zum fast vollständigen Einbruch der Werbeerlöse.

Woran hapert es in der Umsetzung? 

Pay-Modelle sind also weit verbreitet in der deutschen Verlagslandschaft. Woran hapert es nach wie vor bei denjenigen Verlagen, die sich der Einführung noch nicht gewidmet haben, obwohl sie sich der Dringlichkeit bewusst sind? Warum lassen diese Verlage bisher wertvollen Umsatz und Gewinn, der sich wiederum in ein besseres Leserangebot investiert lässt, liegen?

Produkt- und Preisgestaltung können über eine Marktforschung ermittelt werden

Ein Bezahlmodell lässt sich mittlerweile in wenigen Wochen aufsetzen. Die großen technischen Herausforderungen, mit denen die Verlage noch vor einigen Jahren zu kämpfen hatten, werden ihnen heutzutage durch die Lösungen großer Dienstleister abgenommen. Anbieter wie piano, CeleraOne oder MPP bieten modulare Lösungen, die für die eigentliche Bezahlschranke, das Single Sign-on, die Abonnentenverwaltung und die Conversion- und Retention-Steuerung verwendet werden können. Einige dieser Anbieter bieten zudem Templates für alle relevanten Seiten im Conversion Funnel. Diese müssen lediglich designed bzw. gebranded werden und das Sammeln von Abonnenten kann beginnen.

Aufwändiger hingegen ist das Produkt-Design und die spätere Kommunikation an die Leser. Soll das Produkt lediglich die Bezahlartikel umfassen oder noch zusätzliche Vorteile, wie z.B. die Teilnahme am Vorverkauf von Event-Karten, ein Vorteilsprogramm, Zugang zu speziellen Veranstaltungen, Zugriff auf Podcasts oder einen speziell gestalteten Newsletter? Gibt es nur ein monatliches Abonnement, oder auch einen Tagespass oder sogar die Möglichkeit, Einzelartikel zu erwerben? Das optimale Gesamtpaket kann ein Verlag auf Basis einer Online-Marktforschung in Hinblick auf Kundenpräferenzen und Zielgruppe definieren.

In dieser Marktforschung ist es auch opportun, das genaue Pricing zu bestimmen. Auch wenn sich ein Standardpaket von 9,99 € pro Monat vielfach bewährt hat, sollten Verlage eine genaue Vorabrecherche nicht auslassen, um kein Geld auf der Straße liegen zu lassen. Häufig können Regionalzeitungen aufgrund der Exklusivität ihrer Berichterstattung höhere Preise aufrufen. Auch das Pricing von Paketen, wie z.B. inkl. E-Paper oder mit Werbefreiheit, ist auf den ersten Blick nicht offensichtlich. Bewährte Preisfindungsmethoden wie das van Westendorp Price Sensitivity Meter oder die Gabor-Granger-Methode können hier in sehr kurzer Zeit Transparenz schaffen und somit über die optimale Preisfindung höhere Erlöse generieren.

Diese Zahlen sollten sich selbstverständlich auch in einem sauber aufgesetzten Business Case wiederfinden. Dieser sollte nicht nur die verschiedenen Conversion-Szenarien transparent abbilden, sondern die zu erwartenden Erträge auch mit den u.U. auftretenden Verlusten in den Werbeeinnahmen sowie den Kosten für den technischen Dienstleister und das zusätzliche Personal für Conversion-Optimierung, Retention-Management, technische Projektverantwortung und ggf. Service verrechnen.

Das Redaktionskonzept als zentraler Bestandteil der Transformation

Im Kern der Anstrengungen steht bei der Einführung eines Bezahlmodells häufig die Erstellung des redaktionellen Konzepts. Speziell im Falle des Freemium-Modells ist die emphatische Abholung und Schulung der Redakteure bei einer zeitgleich stattfindenden Anpassung der Redaktionsstrukturen und -prozesse notwendig. In vielen Fällen geht es darum, eine bestehende Aufteilung zwischen Online und Print aufzuheben und ein integriertes Redaktionsteam zu schaffen. Abgetrennte Online-Redaktionen, die gratis Online-Content zur Verfügung stellen, sind häufig zu klein, um den Mehraufwand der tiefer recherchierten Bezahlartikel abzubilden.

Dabei ist die Einführung von Premium-Inhalten nicht unbedingt mit zusätzlicher Arbeitsbelastung verbunden. Es geht vielmehr um den korrekten „Schnitt“ der Themen. Hier kann das sogenannte Dramaturgie-Konzept eine gute Orientierung bieten. Während z.B. die Meldung eines Ereignisses als freier Content auf der Webseite dargestellt wird, kann ein dazugehöriger Hintergrundbericht (der sonst ggf. in der Zeitung erscheinen würde) als bezahlter Content angeboten werden. Am nächsten Tag erscheint darüber hinaus in der Zeitung ein längeres Interview mit einer am Ereignis beteiligten Person. Insofern muss Premium-Content nicht (für Online und für Print) doppelt produziert werden, sondern es wird eine Spannungskurve dramaturgisch über Online hin zu Print aufgebaut und damit beiden Medien eine fundierte inhaltliche Daseinsberechtigung gegeben.

Abb. 3: Dramaturgie-Konzept in der Ausspielung von Content Online und via Print. Grafik: Axel Springer hy.

Trotzdem muss sich jeder Redakteur auch individuell umstellen. Sobald die ersten Artikel hinter der Bezahlschranke liegen, wird deren Reichweite signifikant sinken. Die Redakteure müssen sich an ein Modell gewöhnen, in welchem die Generierung eines neuen Abonnenten ungleich wertvoller ist als pure Reichweite. Damit entsteht jedoch auch ein direkter Feedback-Kanal für die eigene journalistische Arbeit. Wohingegen früher nur Print-Leserumfragen Wochen oder Monate später Feedback zur wahrgenommenen journalistischen Qualität brachten, erschließt die real-time Auswertung von Conversion und Retention, vielfach angezeigt auf großen Screens in den Redaktionsräumen, eine völlig neue Sicht auf Themenwahl, Aufbereitung und Schreibstil.

Die Einführung einer Test- und Fehlerkultur geht damit Hand in Hand. Viele erfolgreiche Verlage erlauben ihren Redakteuren mit Bezahlinhalten zu experimentieren und nach Online-Stellung des betreffenden Artikels ehrlich dateninformiert eine Auswertung der Conversion zu treffen. Und dabei können es durchaus Nischenthemen sein, die gut konvertieren. Im Falle der BILD-Zeitung hat sich z.B. das Thema Amateur-Boxen oder auch die Berichterstattung über spezielle Bands und Serien als Treiber hervorgetan. Hier bei kleineren Fan-Gemeinschaften und interessierten Gruppen zu bestimmten Themen anzusetzen ergibt in der Summe ein enormes Conversion-Potential.

Dabei gibt die Einrichtung datenbasierter Workflows allen Beteiligten während der Transformation eine gemeinsame Orientierung. Ein sauberes Reporting, z.B. bestehend aus real-time Conversion-Tracking, Segment-Auswertung, einem Blick auf die Retention pro Ressort, usw. sind dafür der Grundstein. Aber auch das Wissen, wann ein Artikel gepostet werden sollte oder welche Art von Artikel zu welcher Tageszeit opportun ist, sind nicht zu unterschätzende Conversion-Treiber. Veränderte Texteinstiege, veränderte visuelle Aufbereitung und veränderte Teaser können zudem einen großen Einfluss ausüben – dies lässt sich häufig anhand einfacher A/B-Test bemessen.

Abb. 4: A/B Testing von unterschiedlichen Überschriften bei der „Welt“.
Interne und externe Kommunikation machen den Wandel greifbar

Wie kann man diese neuen Hebel und Strukturen den Redakteuren am besten zugänglich machen? Hier hat sich eine hohe Transparenz, z.B. über regelmäßige Townhall- bzw. „Frei-für-Alle“ Meetings bewährt (was gerade zurzeit besonders gut über Videokonferenzen funktioniert, da man hier die Kollegen noch besser zur Teilnahme anregen kann). Durch diese werden Redakteure und weitere involvierte Mitarbeiter während des Transformationsprozesses aktiv eingebunden und up-to-date gehalten. Aufgrund der Tiefe der Transformation sollte den Mitarbeitern zu jedem Zeitpunkt Gelegenheit gegeben werden, Fragen zu stellen oder Bedenken zu äußern. Das schafft Vertrauen und führt schlussendlich zu einer schnelleren Annahme dieses für alle Beteiligten verbesserten Monetarisierungsmodells ihrer Arbeit.

Auch die externe Kommunikation bzw. die Markteinführungsstrategie sollte vom Gedanken getragen sein, den Lesern die Bezahlinhalte näher zu bringen ohne sie zu verprellen. Grundsätzlich sollte die Botschaft an den Leser lauten, dass guter Journalismus und fundierte Hintergrundrecherche nicht komplett umsonst sein können – ein Argument, was im Print-Bereich seit eh und je gilt. Neben dem Zugang zu hochwertigem Content können jedoch auch die weiteren Produkt-Features in den Vordergrund gerückt werden, z.B. der oben erwähnte Zugang zum Vorverkauf spezieller Eintrittskarten, zu exklusiven Veranstaltungen oder zu einem allgemeinen Vorteilsprogramm. Möglich ist es auch, den Launch des Bezahlmodells an eine weitere Neuerung zu koppeln, wie z.B. ein Webseiten-Redesign, um den Lesern auch einen sofortigen optischen Mehrwert zu bieten.

Die Optimierung geht weiter

Auch nach der Einführung des Bezahlmodells lebt dieses von der kontinuierlichen Optimierung von Conversion und Retention. Es gibt unzählige Geschichten von unerwartet gut bzw. schlecht performenden Artikeln. Letztendlich werden nur die sauber ausgewerteten Daten der Reporting-Struktur die jeweilige Next-Best Action verlässlich indizieren können. Leserschaften sind heterogen, daher erweist sich kontinuierliches Experimentieren im Rahmen der oben erwähnten offenen Fehlerkultur auf lange Sicht als gewinnmaximierend.

Mit dem bis hier beschriebenen Vorgehen bzw. den zu betrachtenden Elementen kann auch das verbleibende Drittel der Verlage in Deutschland erfolgreich ein Bezahlmodell etablieren. Die Zeit drängt, denn die Print-Erlöse werden weiter zurückgehen. Guter Journalismus sollte letztendlich auch online seinen Preis haben. Durch eine angemessene Vergütung wird nicht nur die Vielfalt der Zeitungslandschaft bewahrt, sondern es profitieren am Ende auch die Leser jedes einzelnen Blattes durch umfangreicher recherchierten und qualitativ hochwertigeren Content.

Autor

Dr. Sebastian Voigt

Dr. Sebastian Voigt ist Partner bei hy und verantwortlich für die Pricing and Sales Business Unit. Sebastian studierte Wirtschaftsinformatik und promovierte an der TU Darmstadt zu Monetarisierungsstrategien von digitalen Marktplätzen. Seit über 15 Jahren entwickelt er profitable digitale Geschäftsmodelle. Er arbeitete u.a. als Director bei der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners, leitete die Projektteams der Investmentholding von Axel Springer und nahm operative Führungspositionen innerhalb von Bertelsmann und ProSiebenSat1 ein.