Potenziale servicebasierter Geschäftsmodelle für die Kundenbindung

Eine tiefere Integration in Wertschöpfungsketten eröffnet das Potenzial für neue Service-Geschäftsmodelle und lässt Produktionsunternehmen näher an ihre Kunden heranrücken.

Für B2B-Unternehmen kann die Kundenakquise eine große Herausforderung sein, da sie eine Menge an operationellen und finanziellen Ressourcen erfordert. Selbst bei kleineren Aufträgen folgt der Verkaufsprozess einem iterativen Ansatz: Beginnend mit dem Marketing-Engagement, gefolgt von technischen Diskussionen, Produktdemonstrationen, Produkt- und Prozessiterationen und schließlich einem Angebot, welches hoffentlich die Zustimmung der relevanten Interessengruppen erhält. Darüber hinaus wird die typische Kundenakquise noch immer vorrangig durch Offline-Aktivitäten, wie der Teilnahme an Messen, Expertenkonferenzen und persönliche Treffen mit (potentiellen) Kunden, vorangetrieben. Hinzu kommt, dass die Kosten der Online-Leadgenerierung nicht zu unterschätzen sind und bei produzierenden Unternehmen bis zu achtmal höher liegen als beispielsweise im Einzelhandel.

Demzufolge werden auf die Kundenakquise erhebliche Ressourcen verwendet. Der Kundenbindung hingegen wird nur selten die gleiche Aufmerksamkeit geschenkr, trotz der allgemein bekannten Tatsache, dass Kundenbindung wesentlich kostengünstiger und langfristig rentabler ist als die ständige Neukundenakquise.  Nach der Transaktion finden Kundeninteraktionen in der Regel nur bei spezifischen Service- oder Wartungsanfragen statt.  Durch die Verbesserung der Kundenzufriedenheit, kann daher eine Verbesserung der Kundenbindung erfolgen und der Gewinn gesteigert werden.


Entscheidungsrelevante Daten dank der Digitalisierung der Wertschöpfungskette

Die wesentliche Motivation für Produktionsunternehmen ihre Wertschöpfungsketten zu digitalisieren, besteht darin Prozesseffizienzen zu steigern, Betriebskosten zu reduzieren, das Angebot zusätzlicher Dienstleistungen für Kunden zu optimieren sowie die Kosten der Kundenakquisition zu senken. Die Digitalisierung von Wertschöpfungsketten und Prozessen führt zu wertvollen Datenpunkten, die das Verständnis der Kundenbedürfnisse kontinuierlich verbessern und so die Produktentwicklung beeinflussen. Infolgedessen können Hersteller den Maschinenverkauf steigern, neue Umsatzkanäle erschließen und ein höheres Maß an Kundenbindung erreichen, um sich so einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

Um die datengestützte, digitale Prozessoptimierung in Gang zu setzen, ist eine tiefe Datenanalyse erforderlich, die eine Reihe von Datenströmen umfasst. Des Weiteren muss die Korrelation komplexer Steuerungsparameter, ein feedbackbasierter Optimierungszyklus sowie die Konsistenz und hohe Empfindlichkeit der Steuerung und Optimierung gewährleistet werden. Darüber hinaus trägt die Anwendung von Deep Learning zur kontinuierlichen Verbesserung der Entscheidungsfindung bei. In diesem Zusammenhang muss besonders darauf geachtet werden, dass das potentielle Risiko der Intransparenz in Bezug auf Optimierungsalgorithmen berücksichtigt wird.

Neue Technologien, leistungsfähige Daten-Frameworks und die Kombination von beidem eröffnen Unternehmen neue Wege zur Etablierung von Service-Geschäftsmodellen. Diese Modelle verbessern die Kundenzufriedenheit und erhöhen die Kundenloyalität. Sie ermöglichen zudem das Schaffen zusätzlicher Absatzkanäle auf Grundlage neuer digitaler Lösungen und bieten Upselling-Potential für bestehende Produkte. Beispielsweise ermöglicht die Kombination von simulationsbasierten digitalen Zwillingen mit IoT-Daten (von Maschinen, Fertigungshallen usw.) Erkenntnissen in Echtzeit. Diese führen zu innovativen Serviceangeboten. Selbst komplexe Produkte, Prozesse und Systeme können in ihrer Arbeitsumgebung simuliert werden, wodurch Entwicklungszeit, Wartung und Betriebskosten gesenkt werden. Diese Kombination erfordert jedoch ein Mehrfach-Simulationsmodell, um das Verhalten von Anlagen unter realen Bedingungen vorherzusagen.

Adaption von datenangereicherten und datengetriebenen Service-Geschäftsmodellen

Sobald die Geschäftstätigkeit eines Unternehmens digitalisiert ist, bieten sich die daraus resultierenden Daten zur Monetarisierung mittels datenangereicherten und datengetriebenen Service-Geschäftsmodellen an. Die Digitalisierung ermöglicht die Echtzeit-Analyse von Betriebsdaten und somit die Anpassung von Dienstleistungen an die Bedürfnisse der Kunden. Ursprünglich wurden diese datengestützten Verbesserungen zur Optimierung der internen Abläufe eines Unternehmens und des bestehenden Produktportfolios genutzt. In der Folge führte der Übergang von einmaligen Produktverkäufen zu kontinuierlichen Serviceverträgen zur Entstehung verschiedener “As-a-Service”-Modelle. Diese Geschäftsmodelle ermöglichen es den Herstellern, ihre Produkte und Dienstleistungen je nach Verfügbarkeit („Pay-per-hour“), Produktivität („Pay-per-piece“) oder Funktionalität („Pay-per-feature“) anzubieten und in Rechnung zu stellen.

Immer mehr traditionelle Produktionsunternehmen aktualisieren ihre Geschäftsmodelle und ergänzen ihre Produktverkäufe um datenangereicherte Dienstleistungen. Gleichzeitig verbessern sie die Fähigkeit, die Ergebnisse der von ihnen angebotenen Dienstleistungen zu messen. Dieser Trend wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass Sensoren und Konnektivität in einer wachsenden Zahl von Umgebungen allgegenwärtig werden. So können Sensordaten beispielsweise verwendet werden, um Engpässe in der Lieferkette zu identifizieren und die Qualität von Materialien zu bewerten. Darauf basierend können neue Dienstleistungen, wie die vorbeugende Wartung und automatische Nachfüllung, angeboten werden.

“Servitization” benennt diesen Wechsel von produkt- zu servicezentrierten Geschäftsmodellen, der Unternehmen dabei hilft sich näher am Kunden zu positionieren. Aus Kundenperspektive sind Geschäftsmodelle die Ergebnisse verkaufen weit attraktiver, als solche die nur Produkte verkaufen. So verschwimmen die klassischen Grenzen zwischen Herstellern und Dienstleistern immer mehr. Dies ist eine Chance für Produktionsunternehmen die Kundenbindungsraten zu erhöhen. Dies ist von besonderer Bedeutung, da die Fertigungsindustrie mit einer durchschnittlichen Kundenbindungsrate von rund 67 Prozent zu den Branchen mit den niedrigsten Raten gehört.

Ein Paradebeispiel für den Wert datengetriebener Service-Geschäftsmodelle ist Schindler, der Schweizer Hersteller von Aufzügen, Fahrtreppen und Fahrsteigen. Das Unternehmen stattet seine Aufzüge mit IoT-Sensoren aus. Diese messen Parameter wie Lastwägung, Anzahl der Fahrten, Anzahl der Türzyklen, Wartezeiten, Beschleunigung, Stöße, Vibrationen und andere. Die erfassten Daten nutzt das Unternehmen, indem es zugunsten der Kunden präventive Wartungskonzepte verbessert als zusätzliche Dienstleistung anbietet.

Zeiss geht, in Partnerschaft mit Microsoft, sogar noch weiter und arbeitet an einem datengetriebenen Stand-Alone-Service: Im Rahmen der Umwandlung des Unternehmens in einen Anbieter digitaler Dienstleistungen wird das Unternehmen seine Geräte und Prozesse auf Azure, der Cloud-Computing-Plattform von Microsoft, standardisieren. Auf diese Weise wird Zeiss seinen Kunden künftig eine digitale Plattform zur Verwaltung aller digitalen Zeiss-Produkte anbieten können.

Servitization ermöglicht es Unternehmen auch in der Zukunft erfolgreich zu sein

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass datenangereicherte und datengetriebene Service-Geschäftsmodelle eine digitale Prozessoptimierung erfordern, um effektiv und zielgerichtet zu sein. Die tiefere Integration in die Wertschöpfungsketten der Kunden erfordert zudem grundlegend andere Fähigkeiten als das traditionelle Domänenwissen. Infolgedessen sollte die Komplexität des Aufbaus wirkungsvoller, datenbasierter Service-Geschäftsmodelle nicht unterschätzt werden. Denn die Implementierung einer iterativen und agilen Softwareentwicklungsumgebung und -kultur erfordert zugleich eine Rekrutierungsstrategie, die darauf ausgerichtet ist, die richtigen Talente für die Entwicklung datengetriebener Dienstleistungen zu finden. Aus strategischer Sicht muss das erforderliche Datenstrategie-Framework in der Investitions- und Gesamtstrategie des Unternehmens berücksichtigt werden. Um das Potenzial datengetriebener Service-Geschäftsmodelle zu maximieren, müssen Unternehmen dies als ein langfristiges Engagement verstehen, das durch eine datengetriebene Produktstrategie und ein datengetriebenen oder datengestützten Vertriebsansatz untermauert wird.

Eine aktuelle Studie von McKinsey bestätigt zudem, dass COVID-19 die Servitization der Geschäfts- und Liefermodelle der Hersteller weiter verstärkt. So hat die Pandemie bisher 96 Prozent der B2B-Unternehmen veranlasst, ihr Betriebsmodell zu ändern und den Schwerpunkt auf digitale und kontaktlose Selbstbedienung sowie Fernbetrieb zu legen. Dazu gehören virtuelle Bereitstellungsmodelle ebenso wie die verstärkte Nutzung von digitalen Selbstbedienungs- und Fernlösungen.

Sollte Ihr Interesse geweckt sein, empfehlen wir Ihnen den hy Podcast und die Folge 121 „Thomas Schneider, was steckt hinter der Kooperation von Trumpf und Munich Re”. In der Folge wird anschaulich beschrieben, wie Trumpf und Munich Re aktuell ein Equipment-as-a-Service-Modell aufbauen. In diesem, für die produzierende Industrie neuen Geschäftsmodell, wird den Kunden der Laservollautomat TLC 7030 in Zukunft in einem Pay-per-Part-Modell zur Verfügung gestellt. Dies stellt einen fundamentalen Wandel des Betriebs und der Finanzierung großer Maschinen dar, sowohl für Maschinenbauer als auch für ihre Kunden.