Innovation in der Medienindustrie: Eine unendliche Geschichte von Unbundling und Rebundling
Die Medienindustrie ist eine der faszinierendsten Industrien überhaupt. Vor allen anderen wurde sie massiv durch digitale Technologien verändert. Heute verbringt der durchschnittliche US-Amerikaner fast die Hälfte seiner Wachzeit mit digitalen Medien.
Die extreme Dynamik des Marktes macht seine Analyse genauso spannend wie komplex. Cord und ich haben trotzdem versucht, alle Entwicklungen rund um die neuen Sterne am Medienhimmel wie TikTok, Disney+, Substack, Clubhouse oder Apple One auf einem Bild zu vereinen. Gelandet sind wir bei dem Zitat, das Marc Andreessen dem ehemaligen Netscape-CEO Jim Barksdale zuspricht:
There are only two ways to make money in business: one is to bundle; the other is unbundle.
Trotz ihrer Vielschichtigkeit lassen sich viele Verschiebungen in der Medienindustrie auf eine kontinuierlichen Abfolge von Entbündelung und Bündelung bestehender Geschäftsmodelle und Unternehmen herunterbrechen.
Um zu verstehen, wo Veränderungen entstehen hilft der Blick auf die jeweils dominanten Geschäftsmodelle und Unternehmen. Sie sind in der Regel der Angriffspunkt von Bündelungs- und Entbündelungsdynamiken.
- Die großen journalistischen Häuser wurden in den letzten Jahren von Unternehmen wie MorningBrew oder The Athletic angegriffen, die sich aus dem breiten Zeitungsangebot auf einzelne Bereiche, wie den Wirtschafts- oder Sportteil fokussieren. Diese Unternehmen wiederum werden jetzt durch noch spitzere Publikationen von Solo-Journalisten auf Publishing-as-a-Service-Plattformen wie Substack herausgefordert.
- Die dominanten Streamingdienste Netflix und Spotify bieten Angriffsfläche für Nischenanbieter wie Crunchyroll oder Idagio, die das breite Angebot in fokussierte Angebote entbündeln. Auch der massive Erfolg des klar auf Familien fokussierten Disney+ ist ein Paradebeispiel für Innovation durch Entbündelung.
- Amazon und Apple wiederum bündeln Angebote über verschiedene Medienformate von Musik über Filme bis zu Nachrichten in ihren meta-subscriptions Amazon Prime und Apple One. Sie heben damit die einzelnen Märkte der Medienindustrie in einen neuen Markt und attackieren so die Aggregatoren in den einzelnen Mediengattungen.
- Plattformen wie Patreon oder YouTube haben in den letzten Jahren eine Infrastruktur für die Entbündelung der Musik- und TV-Industrie geliefert. Heute sind die etablierten Plattformen wie YouTube Grundlage für neue Bundling-Tendenzen. Sie haben nicht nur neue Stars wie Joe Rogan oder PewDiePie hervorgebracht, sondern auch eine neue Form von Studios, wie das auf Kinder-Inhalte spezialisierte Studio Moonbug Entertainment.
Marktverschiebungen erkennen, eigene Stärken hebeln und die Welle reiten.
Wie können Medienunternehmen in diesem sich ständig wandelnden Umfeld erfolgreich bleiben? Zunächst mal lässt sich festhalten, dass sie es können, wenn man auf das Alter von Disney (97 Jahre), Forbes (103 Jahre), New York Times (169 Jahre) schaut. Um erfolgreich zu sein, müssen Unternehmen Marktveränderungen nicht anstoßen, sondern nur rechtzeitig auf sie reagieren. Disney hat das Videostreaming nicht erfunden, aber gut ein Jahr nach dem Start von Disney+ fast 100 Millionen Abonnenten gewonnen. Die New York Times hat sich rechtzeitig klar zu digitalem Journalismus bekannt und ist heute der nach Abonnentenzahlen erfolgreichste Digitalverlag. Forbes hat Substack nicht gegründet, aber den dahinterstehenden Trend erkannt und im Januar den Aufbau einer eigenen Newsletter-Plattform angekündigt. Etablierte Unternehmen sollten sich also immer die Frage stellen, wie sie unter dem Einsatz ihrer Stärken die dominanten Digital-Player angreifen können (Disney+ vs. Netflix) bzw. von den fundamentalen Marktverschiebungen profitieren können (Forbes Newsletter-Plattform).
Verschwimmende Grenzen und offene Fragen
Auch wenn sich viele Entwicklungen mit dem Bundling/Unbundling-Konzept erklären lassen, ist es natürlich eine extreme Vereinfachung. Die folgenden Fragen haben wir uns schon beim Erstellen der obigen Grafik gestellt und werden sie in den nächsten Wochen genauer beleuchten:
- Was ist mit Podcasts und Audio? Offensichtlich ist Audio nicht erst seit Clubhouse eines der spannendsten Felder in der Medienindustrie. Während Netflix, YouTube, New York Times und Co. einen Verteilungskampf um die Aufmerksamkeit unserer Augen führen, geht es im Audio-Bereich noch um Landgrabbing: Ears are the new eyeballs. Viel mehr Zeit können wir Nutzer nicht mehr vor Bildschirmen verbringen. Dafür gibt es aber beim Pendeln, Abwaschen und Joggen noch Raum für zusätzlichen Audio-basierten Medienkonsum.
- Was ist mit Wellness, Fitness, Education? Die Konkurrenz in der Medienindustrie lässt sich grob auf einen Wettbewerb, um Anteile an a) der Nutzungszeit der Menschen und b) ihrem Budget für digitale Abos reduzieren. Aus diesem Blickwinkel sind Meditations-Apps wie Calm oder Headspace, edukative Angebote wie Babbel und Fitness-Subscriptions wie Freeletyics am Ende im direkten Wettbewerb mit Netflix, Spotify und Co. All diese Angebote sind gerade deswegen so spannend, weil sie auf den großen gesellschaftlichen Trend zur Selbstoptimierung einzahlen. Während Netflix seinen Nutzern insbesondere Unterhaltung bietet, versprechen Calm, Babbel und Freeletyics ein gesünderes, sportlicheres, schöneres, erfolgreicheres Selbst.
- Was ist mit Geschäftsmodellen? Anfang des Jahrtausends boomten Medienmarken wie Buzzfeed, die es perfekt verstanden, Traffic auf Social Media Plattformen zu gewinnen und diesen über Werbung zu monetarisieren. In den letzten Jahren wiederum erlebten wir einen Trend hin zu bezahlten Inhalten und insbesondere subscriptions in der gesamten Medienindustrie sowie Geschäftsmodelle an der Schnittstelle von eCommerce und Medien, wie Goop oder Tasty. Unter der Annahme, dass die vielbeschworene subscription fatigue irgendwann einsetzt, sehen wir insbesondere Potential für Bundling-Geschäftsmodelle im Bereich Paid content und neue Werbe-finanzierte Modelle bis hin zu Unternehmen, die eigene Publikationen starten oder übernehmen.
Was ist mit Gaming? Genau, das größte Segment der Medienindustrie taucht in dem obigen Bild nicht einmal auf. Einer der spannendsten Player hier ist aus unserer Sicht Roblox, eine Plattform auf der Nutzer nicht nur Spiele spielen, sondern auch selber kreieren können. Über 160 Mio. Nutzer, darunter ein Drittel aller US-Jugendlichen unter 16 Jahren und fast 75% aller 9-12-Jährigen nutzen Roblox monatlich. Zu Roblox und Gaming im Allgemeinen bald mehr von Cord…
Eines steht fest: Die Medienindustrie fasziniert uns wie keine andere. Darum werden wir sie weiter beobachten, versuchen, Muster zu erkennen und unsere Gedanken dazu auf verschiedensten Kanälen teilen. Wir freuen uns über Anmerkungen, Feedback und Austausch hier oder unter cord.schmidt@hy.co und jan.thede@hy.co.