Was ist aus dem Konzept der „Startup-Fabrik“ geworden?

Das New Yorker Idealab, gegründet im Jahr 1996, gilt gemeinhin als das erste Unternehmen, das systematisches Company Building betrieben hat. Insbesondere seit der Wirtschaftskrise des Jahres 2007 haben sich weltweit etliche Company Builder etabliert. Diese Unternehmen versprechen Geschäftsopportunitäten schneller und erfolgreicher umzusetzen als gewöhnliche Startups. Aber was ist dran am Versprechen? Wir haben den Company Building Markt in Deutschland genauer unter die Lupe genommen.

Im Wesentlichen haben sich drei Typen von Company Buildern herausgebildet
  1. Unabhängige Company Builder mit starkem Exit-Fokus wie (früher) Rocket Internet oder die Ioniq Group (ehemals Hitfox). Der Company Builder sorgt für die Seed-Finanzierung seiner verschiedenen Startups. Ziel ist es, mit jedem Startup Eigenkapital von externen Geldgebern zu sammeln und dieses z.B. durch einen Börsengang zu einem Exit zu bringen.
  2. Von etablierten Unternehmen betriebene Company Builder wie z.B. Wattx von Viessmann, der EnbW Innovation Company Builder oder auch in Teilen der Lufthansa Innovation Hub. Dabei geht es eher selten um den Exit der einzelnen Startups, als um die strategische Entwicklung neuer Geschäftsmodelle um das Kerngeschäft herum mit anschließender Integration in das Unternehmen oder eigenständiger Weiterentwicklung.
  3. Company-Building-as-a-Service Dienstleistungen von Unternehmensberatungen und Agenturen wie z.B. BCG DV, mantro, Bridgemaker, etventure, Stryber oder Founderslane. Diese versprechen eine „schlüsselfertige“ Umsetzung der Unternehmensgründung und arbeiten meistens gegen Gebühr und/oder Co-Ownership mit ihren Corporate-Kunden.  
Company Building ist keine Black Box – so funktioniert das Modell
  1. Company Builder bestehen regelmäßig aus einer Holding (Launchpad) und den Ventures (Startups). Häufig gibt es zusätzlich einen Fonds. Die Holding und ggf. der Fonds sammeln das Anfangskapital, das zum Teil in die Ventures fließt. Die Holding agiert als „Fabrik“ und bündelt die anfallenden Overheadkosten. In Abgrenzung zu anderen Organisationsformen, wie Acceleratoren oder Venture Capital Firmen, setzen Company Builder früher in der Wertschöpfungskette an. Ideen werden in-house generiert und Teams von Grund auf aufgebaut. 
  2. Company Builder nutzen „Starter-Kits“ für sich wiederholende Gründungsschritte z.B. die Nutzung von Schachtelgesellschaften, die Erstellung von Musterverträgen, die Errichtung von Bankkonten und Hiring-Roadmaps. Zur Basis der Gründung gehört, dass die in der Holding vorhandenen Dienstleistungen wie Marketing, PR, Recht, Recruiting, Design, Produktmanagement oder Softwareentwicklung von den Gründerteams der Startups genutzt werden können und man diese nicht teuer am Markt suchen und einkaufen muss. 
  3. Vertieftes erfolgs-relevantes Wissen wird durch systematisches Company Building erworben. Aufgrund dessen, dass viele notwendige Funktionen für den Firmenaufbau bereitstehen, können sich die Gründer voll auf die Erreichung des Product/Market-Fits konzentrieren. Die verschiedenen Ventures des Company Builders werden intern verglichen. Das spornt den internen Wettbewerb und den Ehrgeiz der Gründer an. Durch den systematischen Aufbau mehrerer Ventures wird zudem ein tiefes Wissen zu den einzelnen Erfolgsfunktionen, wie z.B. das Online Marketing erworben. 
Unsere Beobachtung: Klassische Company Builder richten sich neu aus oder schließen

Zahlreiche der in den späten 0er Jahren entstandenen Company Builder sind inzwischen eingestellt worden oder haben ihr Geschäfts- oder Betriebsmodell geändert.

Beispielsweise wurde das von MediaMarkt/Saturn betriebenen Company Builder Spacelabs und auch der von der Pro7Sat1-Gruppe betriebene Builder Epic Companies eingestellt. Der Innogy Innovation Hub wurde von Future Energy Ventures übernommen, einer Venture Capital Plattform. Jüngst hat auch die Daimler AG ihren Builder Lab 1886 größtenteils geschlossen und veräußert. Auch Haniel trennte sich im Januar 2020 von ihrer Innovationseinheit. Diese bildet nunmehr unter dem Namen Schacht One gemeinsam mit mantro Company Building Services an. 

Im vergangenen Jahr hat Rocket Internet nach 13 Jahren sein Company Building-Geschäft eingestellt. Der langjährige Leiter des Rocket-Inkubationsgeschäfts, Alexander Kudlich, betreibt mittlerweile einen eigenen Fonds, 486 Capital. Während 2014 noch >400 Mitarbeiter für die Holding in Berlin arbeiteten, waren es 2020 nur noch <100, hauptsächlich für den Rocket Fonds Global Founders Capital tätig. Rocket Internet inkubiert nur noch im Seed-Mini-Venture-Builder Flash Ventures, der vergleichsweise schlank aufgestellt ist und Freiberufler bucht, um die Ventures aufzubauen. 

Ein weiteres Beispiel ist Team Europe, die Keimzelle von Unternehmen wie Lieferheld, Gründerszene, Mister Spex, StudiVZ und CIRC. Das Unternehmen investiert zwar in neue Ventures. Allerdings entwickelt es diese mittlerweile in einem kleinen Team mit wenigen Generalisten. Rheingau Founders agiert in ähnlicher Weise. Im Laufe der Jahre hat sich auch die Firmenschmiede Project A von einem Company Builder zu einem VC gewandelt, der seinen Ventures operativ hilft. Venture Stars und Better Ventures (Kartenmacherei) folgten diesem Beispiel.

Ein anderer bekannter Company Builder ist die Ioniq Group (ehemals HitFox). Sie hat stets den Ansatz verfolgt, sich durch eine Fokussierung auf bestimmte Branchen und einen Plattform-/Ökosystem-Ansatz auf dem Markt einen Vorteil gegenüber stand-alone Startups zu verschaffen. Insofern setzt sie sich von Industrie-agnostischen Company Buildern wie Rocket Internet ab. Die Group hat sich dabei im Fintech- und Healthtechbereich mit finleap respektive Heartbeat Labs vertiefte Branchenkenntnisse in regulierten Märkten verschafft. In der Zwischenzeit hat Heartbeat Labs aber auch seine Company Building Aktivitäten stark reduziert und fokussiert sich mehr auf seine Investitionen, z.B. in Heal Capital oder Synbionik. 

Bei finleap hat sich ebenfalls einiges verändert: Die Exit-Strategie für neue Ventures scheint passé. Ramin Niroumand, Geschäftsführer und Gründer wurde vor kurzem dazu von Business Insider wie folgt zitiert: „Das eigenständige Bauen von neuen Unternehmen war immer sehr teuer und lohnt sich nur bei großen Wetten.“

Unsere Überzeugung: Das „klassische Company Building Modell“ ist überholt

Wir sind davon überzeugt, dass vor allem das klassische Company Builder as a Service Modell der Digitalberatungen aus folgenden sechs Gründen überholt ist: 

  1. Mangelnde Neutralität bei Empfehlungen
    Nicht immer ist Company Building die effektivste Option, um auf die Herausforderungen des globalen Markts zu reagieren. Statt in direkte Konkurrenz mit den internationalen Wettbewerbern zu treten, erscheinen Investitionen in oder Partnerschaften mit Disruptoren bisweilen als der klügere Weg. Beratungen, die klassisches Company Building as a service mit eigenen Marketern, Softwareentwicklern und Designern anbieten, können die gebotene Neutralität bei der Empfehlung des richtigen Umsetzungsmodus (Build, Partner, Invest) selten gewährleisten. Zudem verfügen sie über Spezialistenteams (z.B. Online Marketing oder Software Developer), die für die eigene Profitabilität ausgelastet werden müssen. Hier stellt sich die Frage, ob den Kunden wirklich immer die beste Umsetzung vorgeschlagen wird oder die Lösung, die eben zu den eigenen Ressourcen passt.
  2. Kein Wissensvorsprung ggü. dem Markt
    Der Wissensvorsprung von klassischen Company Buildern gegenüber dem Markt ist nicht mehr existent. Der Markt selbst bietet heute ausreichend Gründungskompetenz und Fachwissen an, das beim Aufbau von Firmen gezielt herangezogen werden kann. Gründertalente wissen dies und bauen mittlerweile zunehmend ihre Unternehmen außerhalb von Company Buildern auf, auch weil sie dann zumeist mehr Anteile halten. Auch die kürzlichen Entwicklungen bei Rocket Internet und anderen Exit-getriebenen Company Buildern untermauern dies.
  3. Suboptimales Staffing für den Aufbau
    Ein guter Gründer sollte bis zu 40% seiner Zeit damit verbringen, das richtige Team zusammenzustellen. Nur so werden die richtigen Weichen gelegt. Nicht selten werden für Projekte beim traditionellen Company Building Dienstleister die falschen Leute eingesetzt, zumeist weil sie einfach verfügbar sind. Nicht, weil sie unbedingt für das Thema brennen oder für das jeweilige Projekt relevante Kompetenzen mitbringen. Salopp gesagt: Das Development-Outsourcing an eine Low-Cost-„Entwicklerbude”, die zum Company Builder gehört, ist nicht unbedingt für jedes Umsetzungsprojekt gleichermaßen geeignet.
  4. Ungenügend erfolgsabhängige Anreize beim Company Builder
    Beim klassischen Company Builder findet die Wertschöpfung erst Jahre nach der Unternehmensgründung statt, wenn die Anteile erfolgreich verkauft werden oder das Unternehmen an die Börse geht. Im Gegensatz zu diesem Modell haben Company Building Dienstleister oft kein langfristiges Interesse am Unternehmenserfolg. Sie geben ihre Anteile frühzeitig ab und erhalten im Gegenzug eine vordefinierte hohe Vergütung, wenn vorab festgelegte, leicht zu erreichende Meilensteine erreicht werden. Sie haben also nur ein mögliches Image-Interesse am langfristigen Erfolg, nicht aber ein direkt messbares finanzielles Interesse.
  5. Teure Last für die Ventures
    Die Hinzunahme von teuren Beratern (gerüchteweise bis zu achtstelligen Beträgen für den Aufbau der Startups) setzt das junge Unternehmen schon sehr früh unter Leistungsdruck. Jeder weiß, dass es in der Entwicklung vieler globaler Unicorns ein oder zwei notwendige Pivots gegeben hat. Start-ups frühzeitig mit teuren Beratungssätzen oder daraus resultierenden besonderem Druck zu belasten, ist nicht erfolgsfördernd.
  6. Abhängigkeit während und nach dem Aufbau
    Das Versprechen, dass ein Kunde ein schlüsselfertiges Unternehmen erhält, ist nicht haltbar. Jedes neue Unternehmen braucht ein Gründerteam, das Strategie, Product und Operations von früh an mitgestaltet. Die zu späte Einstellung eines Gründerteams oder die späte Integration mit dem Kunden schafft ein Übergangsvakuum. Das Gründerteam identifiziert sich weniger mit dem Startup und gleichzeitig bleibt die Abhängigkeit von dem Dienstleister. Dies führt zu zusätzlichen Kosten für den Auftraggeber und das Start-up wird nicht unternehmerisch weiterentwickelt.
Unser Ansatz: Agieren wie ein Serienunternehmer

Unserer Auffassung nach erfordert der Aufbau erfolgreicher digitaler Firmen heutzutage keinen Company Builder mehr. Dieser ist in vielen Fällen zu unflexibel und teuer. Zudem gibt es beim Corporate Company Building nicht den „one-size-fits-all“-Ansatz. Erfolgversprechender ist es, beim Aufbau eines Ventures von vornherein wie ein Seriengründer zu agieren, der gut vernetzt ist und bei Bedarf die für die erfolgreiche Umsetzung einer Geschäftsopportunität benötigten Unternehmer und Experten hinzuzieht. Im Grunde handeln wir bei hy ähnlich wie ein Projektplaner und Generalunternehmer bei Bauprojekten:

Für jede Geschäftsopportunität unserer Kunden wird ein maßgeschneiderter Implementierungsmodus festgelegt. Developer und Designer werden nur eingeschaltet, wenn das wirklich erforderlich ist. Wir schauen, ob das Venture ein eigenes Development Team samt CTO, eine hochspezialisierte Agentur oder einen Offshore-Dienstleister benötigt. Wir sind bestens im digitalen Ökosystem vernetzt und setzen die Puzzleteile aus Unternehmer, Experten, Anwälten, Freiberuflern und Agenturen zusammen, die ein erfolgreiches Venture benötigen. 

Im Ergebnis entstehen dabei höchst unterschiedliche Lösungen:

  • Für unseren Kunden Trumpf haben unsere Kollegen Christoph Keese, Sebastian Herzog und Alina Jansen zur Umsetzung eines Equipment as a Service Modells die Rückversicherung MunichRe und den IoT-Experten Relayr an einen Tisch gebracht. Hier entsteht ein Joint-Venture aller involvierten Parteien als Neugründung. 
  • Für unseren Kunden Dörken hat unser Kollege Steffen Vollmerding beim Aufbau einer B2B-Plattform selbst die Interim-CPO-Rolle übernommen, seinen Nachfolger eingestellt und sich nach vier Monaten rausgezogen. 
  • Für einen Kunden aus der Baubranche agiert unsere Kollegin Julia Pingsmann als Interim-CEO für eine B2B-Plattform, wird von einem Team aus hy Consultants und externen Experten unterstützt und führt gerade Bewerbungsgespräche mit dem späteren Gründungsteam.
  • Für unseren Kunden Hoyer Handel hat unsere ex Kollegin Kathleen Olstedt als Interim-CEO die Innovationsplattform goodstuff.ventures aufgebaut und das Team plus alle Partner akquiriert.
  • Für unseren Kunden OHB unterstützt unser Kollege Henning Daut das Gründerteam des Corporate Spin Off Rocket Factory Augsburg bei der nächsten externen Finanzierungsrunde.

Diese Unabhängigkeit und Flexibilität in der Umsetzung von Ventures für und mit unseren Kunden können wir anbieten, weil 80% unserer Berater selbst schon Unternehmen gegründet und/oder in sehr frühen Startups gearbeitet haben. 

Darüber hinaus lassen wir uns bei der Begleitung von Venture Building Projekten unserer Kunden in hohem Maße variabel und mehrjährig am wirtschaftlichen Erfolg messen und entlohnen. Wir sind Mit-Unternehmer und nicht Umsetzungsagentur. 

Autor

Sebastian Herzog

Sebastian Herzog ist Co-CEO bei hy und verantwortet die Business Units „Innovation and Ventures“ und „Web3 and Metaverse“. Bevor Sebastian zu hy kam, gründete und leitete er den Lufthansa Innovation Hub als eigenständige GmbH in Berlin – eine vielfach ausgezeichnete Corporate Innovation Unit. In seinen insgesamt 12 Jahren bei der Deutschen Lufthansa war Sebastian zuvor in der Markt- und Flottenstrategie sowie als strategischer Assistent des Vorstandsvorsitzenden tätig. Sebastian ist zudem Gründer eines Ecommerce Startups und eines Krypto-Index und vereint Corporate-Erfahrung mit Startup-Spirit. Darüber hinaus ist er Redner und Panelist bei führenden Veranstaltungen zu den Themen Transformation und Innovation.