Connected Everything – Datengetriebene Geschäftsmodelle mit Industrial Internet of Things

04.07.2022 – Ein Beitrag von Victoria Bernhardt und Dominik Flach

Industrial Internet of Things (IIoT) und Industrie 4.0

Das Internet der Dinge (IoT) macht unsere Welt “smart” und hat schon zahlreiche innovative Geschäftsmodelle auf den Weg gebracht: Unser Fernseher zeigt schon lange nicht mehr nur ARD und ZDF, Amazons Alexa verwandelt unsere vier Wände in ein “Smart Home”, die wenigsten tragen eine Apple Watch um die Uhrzeit abzulesen, und auch unser Auto ist mittlerweile mit dem Internet vernetzt. Vormals analoge Objekte werden mit Software und Sensoren aufgerüstet, vernetzen sich untereinander und produzieren riesige Datenmengen, die vor allem die Tech-Konzerne erfolgreich für sich zu nutzen wissen.   

Aber nicht nur unsere Wohnung und unser Auto werden smart, auch die Industrie. IIoT ist eine Spezialform von IoT, die sich auf Industrie- und Produktionsmaschinen konzentriert und Wertschöpfungsprozesse zusammenschaltet und digitalisiert. IIoT ist neben z.B. Robotik oder 3D-Druck eine der wesentlichen Technologien der Industrie 4.0 und wächst weltweit mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 22,7% pro Jahr. 

Liao et al. (2017) definieren IIoT als “die technische Integration von CPS (Cyber-Physical Systems) in Fertigung und Logistik und die Nutzung des Internets der Dinge und Dienste in industriellen Prozessen”. 

Was das Internet der Dinge in der Breite bereits geschafft hat, wird im IIoT-Umfeld gerade erst angestoßen: Die Technologie wird nicht mehr nur zur Prozessoptimierung genutzt, sondern auch für Geschäftsmodellinnovationen, um systematisch Wert zu generieren. Klassische Fertigungsbetriebe können sich zum ganzheitlichen “Solution Provider” entwickeln und neue Wege finden, ihr bestehendes Geschäftsmodell zu erweitern oder sogar zu erneuern.

Der Weg von der Prozessoptimierung zur Geschäftsmodellinnovation

IIoT-Technologien können genutzt werden, um interne Prozesse zu analysieren und zu optimieren. Das kann zum Beispiel zu niedrigeren Preisen, einer besseren Produktqualität oder einem neuen Service führen und so den Kundennutzen steigern. Das bestehende Geschäftsmodell des Unternehmens ändert sich dadurch aber nicht – es wird nur besser exekutiert als zuvor. Die Prozessoptimierung ist damit der erste Schritt in Richtung datengetriebenes Unternehmen. Insbesondere in Branchen mit niedrigen Margen und hohen Betriebskosten können bereits kleine Prozessverbesserungen den Gewinn erheblich steigern. Aber wie können Industrieunternehmen mit Hilfe von IIoT einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil aufbauen, ihre bestehenden Geschäftsmodelle grundlegend neudenken und zusätzliche Umsätze generieren?

Die drei Arten von IIoT-Geschäftsmodellen

Product-Extension: Individualisierung und produktbezogene, digitale Services

Durch Sensoren und Software werden physische Produkte “smart” und können sich virtuell vernetzen und kommunizieren. Dadurch können diese Objekte kontinuierlich angepasst und erweitert werden. Um beispielsweise einen Tesla zu tunen, zu personalisieren oder warten zu lassen, muss man heute nicht mehr in die Werkstatt fahren. Teslas Experten schalten sich per Fernwartung auf das Fahrzeug und nehmen via Softwareupdate die gewünschten Anpassungen vor (“Remote Maintenance”) – ein Service, der den Kundennutzen steigert und den Nutzer zugleich an Tesla bindet. Die Kompatibilität mit Drittanbietern wird stark eingeschränkt oder sogar unterbunden, um einen Lock-In-Effekt in die Produktwelt von Tesla zu erzeugen. 

Der Verkauf eines physischen Produktes steht in diesem Modell weiterhin im Zentrum der Wertschöpfung, wird aber von zusätzlichen produktbezogenen, digitalen Services erweitert. Unternehmen, die diese Art von Geschäftsmodell praktizieren, erweitern ihren Einfluss auf den gesamten Produktlebenszyklus und bleiben auch nach dem Point of Sale in digitalem Kontakt mit Produkt und Nutzer. Dieser Ansatz bietet außerdem den großen Vorteil, dass die Produktentwicklungszeit drastisch verkürzt werden kann, da das Produkt nicht schon im Moment des Verkaufs perfekt sein muss, sondern kontinuierlich, z.B. durch Updates, verbessert werden kann. So können Daten über die Nutzung gesammelt werden und in Produktverbesserung und zusätzliche Services einfließen.

Außerdem können mithilfe dieses Geschäftsmodells Produkte viel einfacher individualisiert und sogar personalisiert werden. Für Industrieunternehmen wird es so deutlich einfacher, ein Produkt für verschiedene Kundengruppen anzupassen und so neue Märkte zu adressieren, für die sich eine Individualisierung des Produktes zuvor nicht gerechnet hätte.

Product-as-a-Service

Treibt man den Gedanken des ersten Geschäftsmodells “Product-Extension” auf die Spitze, kann das Produkt auch als Startpunkt für eine langfristige Service-Beziehung dienen. Hierbei werden produzierende Unternehmen zum ganzheitlichen Solution Provider, die ihren Kunden kein Produkt, sondern eine Lösung verkaufen. Im Gegensatz zum herkömmlichen Geschäftsmodell wird also zum Beispiel die Nutzung einer Maschine und nicht die Maschine selbst verkauft – das Produkt wird zum Service. Der Unterschied wird vor allem im Preismodell ersichtlich: Anstatt einer hohen Einmalzahlung fließen wiederkehrende Zahlungen, z.B. monatlich, jährlich oder pro Nutzung (Pay-per-Use-Modell). Das Risiko verbleibt in diesem Modell beim Produzenten, denn sein Wertversprechen basiert nun auf der Verfügbarkeit des Produktes zu einem bestimmten Zeitpunkt. Jedoch lässt sich das Produkt damit auch ganz neu monetarisieren. Fertigende Unternehmen profitieren nicht nur von wiederkehrenden Zahlungen, sondern auch von der Möglichkeit, ein und dasselbe Produkt, z.B. eine Maschine, mit mehreren Kunden zeitgleich zu monetarisieren, wenn sich deren Nutzungsverhalten komplementär zueinander verhält.

Data-Platform: Data (Analytics)-as-a-Service

Daten, die durch IIoT entstehen, können nicht nur zur Optimierung von Prozessen, Produkten und Geschäftsmodellen genutzt werden, sondern auch losgelöst einen Wert generieren und monetarisiert werden. Google ist ein Beispiel für ein Unternehmen, dass es sich zur Aufgabe gemacht hat, “die Informationen dieser Welt zu organisieren und allgemein zugänglich und nutzbar zu machen”. Google hat einen Weg gefunden, Daten zu sammeln, systematisch und für den Nutzer sinnvoll aufzubereiten und diesen Mehrwert als Plattform zu monetarisieren – und das sehr erfolgreich. Google generiert Daten, greift aber auch auf bestehende Daten zu und bereitet diese auf. Beide Komponenten schaffen Wert für verschiedenste Nutzergruppen auf unterschiedlichen Ebenen der Plattform. 

Ein Beispiel aus dem Industrieumfeld ist die 365Farm-Net-Plattform vom Landmaschinenproduzent CLAAS, auf der Daten von verschiedenen Firmen, u.a. Bayer und CLAAS, aggregiert werden, um einen innovativen Mehrwert für Landwirte zu generieren.

Die erfolgreiche Transformation zum datengetriebenen Player

Im Gegensatz zu Digital-Native-Unternehmen wie Google, Netflix und Amazon, die von Anfang an datengetriebene Organisationen aufbauen konnten, müssen traditionelle Unternehmen einen Veränderungsprozess durchlaufen. Diese Transformation vom traditionellen Fertigungsunternehmen hin zu einem datengetriebenen Player der Industrie 4.0 ist herausfordernd. Folgende Aspekte sollten beachtet werden:

Auswahl der richtigen Strategie: Nicht jedes IIoT-Geschäftsmodell eignet sich gleichermaßen für jede Branche oder jedes Unternehmen. Um das passende Modell zu identifizieren, müssen der bestehende Wertschöpfungsprozess und der Produktlebenszyklus tiefgehend analysiert werden. Nur so lassen sich die individuellen Ansatzpunkte identifizieren und der potenzielle Mehrwert von Daten bewerten. 

Sammlung der richtigen Daten: Nicht alle Daten sind gleich und nicht alle Daten sind für jedes Unternehmen relevant. Es ist wichtig, sich im Klaren darüber zu sein, welche Art von Daten benötigt werden, um die angestrebten Ziele zu erreichen. Dies bedeutet, dass man sich im Vorfeld genau überlegen muss, was man mit den gesammelten Daten tun möchte.

Investition in Infrastruktur und Mitarbeiter: Will man Daten im großen Stil sammeln, verarbeiten und direkt oder indirekt monetarisieren, ist es wichtig, sein Unternehmen auf eine solide Basis zu stellen. Die richtige technische Infrastruktur und Mitarbeiter, die Daten verstehen und leben, sind essentiell für eine erfolgreiche Transformation. 

Umstrukturierung der Wertschöpfungskette: Im Zuge der Umstellung von der Herstellung traditioneller Produkte auf intelligente und vernetzte Produkte, müssen die Produktentwicklung und auch der Herstellungsprozess grundlegend verändert werden. Intelligente, vernetzte Produkte beinhalten Software, die dem Kunden den größten Mehrwert bietet. Das Produktdesign muss grundlegend neu gedacht werden. Außerdem müssen die digitalen Schnittstellen dieser Produkte – in den meisten Fällen Desktop- oder Smartphone-Apps – entwickelt werden, was eine ganz neue Kategorie der Produktentwicklung schafft. Und da intelligente, vernetzte Produkte so konzipiert sind, dass sie während ihres gesamten Lebenszyklus intelligent und verbunden bleiben, muss eine Produktplattform für den kontinuierlichen Betrieb entwickelt werden. Die Transformation führt zwingend zu einer neuen Organisationsstruktur, da alle Funktionen stärker miteinander integriert werden müssen. Produkte und Dienstleistungen werden schneller und kontinuierlich verbessert, wodurch eine Zusammenarbeit zwischen Produktentwicklung, Fertigung, Marketing, Vertrieb und Kundendienst erforderlicher als je zuvor wird.

Etablierung einer neuen Führungskultur: Die Unterstützung durch das Top-Management ist für einen erfolgreichen Changeprozess entscheidend. Um ein datengesteuertes Unternehmen aufzubauen, ist insbesondere die Leidenschaft der Führungskräfte für Daten und Analysen sowie ein tiefes Verständnis der zugrunde liegenden quantitativen Methoden und ihrer Grenzen wichtig. Die Führungskräfte des Unternehmens müssen eine Datenkultur innerhalb ihrer Organisation auf allen Ebenen und Funktionen ermöglichen, unterstützen und vorantreiben. Ihr Auftrag ist es, das Sammeln, Analysieren und Auswerten von Daten zu einem Kernwert aller Mitarbeiter werden zu lassen.

Autorin

Victoria Bernhardt

Als Engagement Manager bei hy validiert Victoria für unsere Geschäftskunden digitale, disruptive Geschäftsmodelle und unterstützt bei der Identifikation von neuen Wachstumsfeldern. Bevor sie zu hy kam, hat sie u.a. Erfahrungen in der Strategieentwicklung bei der BASF New Business gesammelt, zwei eigene Unternehmen gegründet (u.a. im E-Commerce-Bereich), den Investmentbereich einer Stiftung aufgebaut, und als Interims-Managerin den kaufmännischen Bereich einer digitalen Prozessberatung geleitet. Victoria hat einen Masterabschluss in Betriebswirtschaftslehre der Universität Mannheim mit dem Schwerpunkt Entrepreneurship.
Autor

Dominik Flach

Dominik Flach ist Consultant bei hy und unterstützt unsere Kunden bei der Implementierung von neuen Geschäftsmodellen und Prozessen sowie beim Aufbau neuer Ventures. Vor seiner Zeit bei hy beschäftigte er sich intensiv mit der Digitalisierung von Unternehmen am Institut für Digitale Transformation der Hochschule Neu-Ulm, wo er auch seinen Bachelor-Abschluss in Information Management and Corporate Communications machte. Darüber hinaus ist Dominik gelernter Euro-Industriekaufmann, hat verschiedenste Sales Positionen bei der KNARR Gruppe durchlaufen und war bei Bosch.IO in Singapur an der Entwicklung und Umsetzung neuer Geschäfts- und Vertriebsprozesse im gesamten asiatisch-pazifischen Raum beteiligt.