Digitale Potenziale in der Energiewirtschaft

Ein Beitrag von Dominik Flach

Energie ist aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Die Energiebranche unterliegt einem zunehmenden und immer schneller werdenden Wandel. Sie wird durch die Energiewende hin zu umweltfreundlicherer Energie, die globalen Trends zur Dekarbonisierung, der Dezentralisierung von Angebot und Nachfrage und der Digitalisierung angetrieben. Gleichzeitig entsteht Druck durch geopolitische Faktoren, wie der Konflikt in der Ukraine, welcher zu einem weiteren Anstieg der Energiepreise und zu Bedenken hinsichtlich der Versorgungssicherheit geführt hat. Aber auch Konsolidierungen sowie neue Marktteilnehmer und innovative Geschäftsmodelle wirken sich auf die derzeitige Geschäftspraxis der Branche aus.

Insbesondere die zunehmende Digitalisierung hat das Potenzial, eine saubere Energiewende zu ermöglichen. Sie hat in der nahen Vergangenheit zu einer Neugestaltung vieler traditioneller Geschäftsmodelle geführt. Voraussetzung dafür ist der Zugang zu Daten und neuer Technologie, um daraus neue Gewinnquellen und Dienstleistungen für Energieunternehmen abzuleiten. Aber auch neue Akteure haben durch die Veränderungen die Möglichkeit bekommen, in den Energiemarkt einzusteigen. Die Digitalisierung ermöglicht es, etablierten und neuen Unternehmen durch Daten, Software und Analysefunktionen neue Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, welche die Effizienz und Flexibilität auf der Nachfrageseite fördern.

Die Energiewirtschaft wird serviceorientierter

Der Wandel hin zu einem Servicemodell hat sich in vielen Branchen etabliert. Wie sieht es in der Energiebranche aus? Traditionell ist Strom immer nur ein Mittel zum Zweck gewesen. In einer linearen Wertschöpfung lieferten die Erzeuger Energie (aus Kohle, Gas, Wasser- und Kernkraft) per Übertragungs- und Verteilungsnetze an die Endverbraucher. Stand heute werden auch erneuerbare Energien in ein zunehmend dezentrales Netz integriert, wodurch die Komplexität steigt. Auch wenn ein ganzheitlich effizientes und flexibles Energiesystem mit intelligenten Netzen, Gebäuden und Fahrzeugen sicher noch Zukunftsmusik ist, wird Energie heute bereits von einer undifferenzierten Ware zu einer integrierten digitalen Dienstleistung. 

Zum Beispiel lässt sich das Konzept hinter Anything as a Service (XaaS) auch auf den Energiemarkt übertragen. Energie als Dienstleistung (EaaS) ist ein Geschäftsmodell, bei dem Kunden für eine Energiedienstleistung bezahlen, ohne im Voraus große Investitionen tätigen zu müssen. Die Vorlaufkosten für die Finanzierung, den Besitz und den Betrieb kapitalintensiver Energieerzeugungs- und -speichersysteme werden gesenkt oder sogar beseitigt. Der Dienstleister behält das Eigentum (z. B. Sonnenpaneele, Heizung, Beleuchtung) und der Kunde bezahlt nur die von der Anlage erbrachten Dienstleistungen. Die dafür erforderliche physische oder digitale Infrastruktur bietet unterschiedlichen Unternehmen, vom Öl- und Gaskonzern über Anbieter erneuerbarer Energien und Industrieunternehmen hin zu Startups, die Möglichkeit, am Markt zu partizipieren. Laut Fortune Business Insights wird erwartet, dass der EaaS-Markt bis 2029 auf 147,56 Milliarden US-Dollar wächst, mit einem jährlichen Wachstum von 11,1 %. 2022 waren es noch 70,46 Milliarden.

Durch Energie-as-a-Service Modelle wird Kund:innen der Zugang zu nachhaltigen Technologien erleichtert. Beispielsweise bietet die ENVIRIA Energy Holding GmbH Unternehmen einen einfachen und sicheren Zugang zu skalierbaren Energy-as-a-Service-Lösungen und dem Ökosystem der erneuerbaren Energien. Das Frankfurter Startup wurde 2017 gegründet und erhielt erst dieses Jahr in einer neuen Finanzierungsrunde 22,5 Millionen Euro. Viele Solarenergie-Projekte in Deutschland konzentrieren sich auf die Installation von Anlagen für Privathaushalte sowie auf Miet- und Beratungsdienstleistungen. ENVIRIA dagegen fokussiert sich auf Fotovoltaik-Energielösungen, einschließlich Energie-as-a-Service-Produkte im B2B Sektor. Ein anderes Beispiel ist Enel X, laut Guidehouse Insights eines der führenden Unternehmen auf dem EaaS-Markt. Sie bieten integrierte EaaS-Lösungen wie Stromabnahmeverträge (PPAs), On- und Off-Site-Energieversorgungstechnologien, und digitale Energiemanagement-Plattformen an. Mit der Plattform Enel X Connect werden Unternehmen auf dem Weg zu kosteneffizienten erneuerbaren Energien durch Anwendungen wie die Verwaltung von Stromrechnungen, Energiehandel und Energiemanagement unterstützt.

Energiespeicher: Nährboden für digitale Geschäftsmodelle

Laut Germany Trade & Invest werden Energiespeichersysteme eine grundlegende Rolle bei der Integration erneuerbarer Energien in die Energieinfrastruktur spielen und zur Aufrechterhaltung der Netzsicherheit beitragen, indem sie den enormen Anstieg der schwankenden erneuerbaren Energien ausgleichen. Das Forschungsunternehmen BloombergNEF (BNEF) prognostiziert, dass die Energiespeicherinstallationen weltweit bis Ende 2030 kumulativ 411 Gigawatt (oder 1.194 Gigawattstunden) erreichen, was dem 15-fachen der 27 GW/56 GWh an Speicherleistung entspricht, die Ende 2021 online waren.

Unter Energiespeicherung versteht man die Speicherung von Energie in bestimmten Geräten oder Systemen, damit sie zu einem späteren Zeitpunkt bei Bedarf genutzt werden kann. Dies hilft Unternehmen und Sektoren, Energie zu sparen und sie zu nutzen, wenn die Nachfrage steigt oder Netzausfälle auftreten. Auf diese Weise halten Energiespeicher das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage für die Verbraucher jederzeit aufrecht und beugen Problemen wie Stromschwankungen und plötzlichen Preisanstiegen vor. Im traditionellen Modell wird die Energie in einem großen Netz erzeugt und direkt von den Endverbrauchern verbraucht. In einer sich verändernden Energielandschaft gibt es aber zunehmend kleinere Netze und dezentrale Energieressourcen, welche Energie erzeugen, die sie an das größere Netz übertragen oder für eine spätere Nutzung speichern können. Elektrofahrzeuge können hier zu einem sehr, wenn nicht sogar wichtigsten Anwendungsbereich für Energiespeicherung werden.

Energiehandel und V2G treiben die Energiewende voran

Eine Technologie, die noch in ihren Kinderschuhen steckt, nennt sich Vehicle-to-Grid (V2G) und ermöglicht es, Energie aus der Batterie eines Elektroautos in das Stromnetz zurückzuspeisen. Gleichzeitig existieren auch andere Anwendungsfälle wie Vehicle-to-Home (V2H) und Vehicle-to-Building (V2B), um Elektrizität aus einer Batterie für Eigenheime oder Gebäude zu nutzen. Im Vereinigten Königreich schätzt das Amt für Gas- und Elektrizitätsmärkte, dass V2G-Anwendungen das Potenzial haben jährlich rund 3,5 Milliarden Pfund in Bereichen wie der Verstärkung der Netzinfrastruktur, der Speicherung und der Erzeugung einzusparen. Die Technologie kann beispielsweise genutzt werden, um in Spitzenlastzeiten die Deckung des Strombedarfs zu gewährleisten. Glücklicherweise sind elektrische Fahrzeuge auf der Welt immer weiter verbreitet und Untersuchungen zeigen, dass die meisten Autos nur wenige Stunden am Tag in Gebrauch sind (RAC). Diese Situation kann für V2G ausgenutzt werden. Laut Businesswire soll der globale V2G-Markt zwischen 2020 und 2024 auf über 5 Milliarden Dollar anwachsen. 

Nuvve ist ein Softwareunternehmen, das Vehicle-to-Grid-Dienste für Flottenbesitzer von Elektrofahrzeugen anbietet. Die Technologie des Unternehmens hat sich in Pilotprojekten in Europa und Dänemark bewährt. Ein weiteres aktuelles Beispiel für die Entwicklung der Technologie ist der demnächst erscheinende vollelektrische Volvo EX90. Dieser soll das erste Volvo-Fahrzeug sein, das hardwaremäßig für bidirektionale Lademöglichkeiten vorbereitet ist, um das Stromnetz durch V2G-Aktionen der Kunden zu entlasten. In einem Video dazu auf dem Kanal Volvo Cars erklärt Olivier Loedel (Vice President Electrification Ecosystem), wie bidirektionales Laden des eigenen Autos in Zukunft der Umwelt und dem eigenen Geldbeutel nutzen können.

Das Peer-to-Peer (P2P)-Modell lässt wiederum Online-Marktplätze entstehen, auf denen Erzeuger und Verbraucher ohne Zwischenhändler mit Strom handeln können, sodass Einzelpersonen und Gemeinschaften die aktive Kontrolle über ihre energieerzeugenden Anlagen übernehmen können. Bekannte Beispiele für dieses Geschäftsmodell aus dem Alltag sind eBay oder Airbnb. Aber auch im Energiesektor kommt das Modell an. Eine weitere Verbreitung dezentraler Energieressourcen mit lokalem Verbrauch erneuerbarer Energien sollte das Entstehen des P2P-Energiehandels erleichtern, sodass ein Peer überschüssige Energie mit anderen lokalen Peers teilen kann. Auch durch dieses Modell wird der verstärkte Einsatz erneuerbarer Energien gefördert und die Nutzung von dezentralen Energiequellen wird verbessert.

Mit Lumenaza bekommen kleinere Energieerzeuger die Möglichkeit, ihren selbst erzeugten Strom im Direktvertrieb zu verkaufen. Lumenaza stellt nicht nur die Plattform für die Verwaltung des Stroms zur Verfügung, sondern tritt gegenüber den Stromabnehmern auch als Versorger auf. Die Plattform übernimmt die komplette Datenverarbeitung sowie die Abrechnungsprozesse. Die SaaS-Plattform von Lumenaza verbindet Produzent:innen und Verbraucher:innen von grüner, dezentraler Energie miteinander und wurde 2020 in der FT 1000-Liste der Financial Times als eines der am schnellsten wachsenden europäischen Unternehmen aufgeführt. Power Ledger dagegen ist ein australisches Technologieunternehmen, das eine Blockchain-gestützte Peer-to-Peer-Handelsplattform für erneuerbare Energien entwickelt hat. Die Plattform erleichtert den Kauf und Verkauf von Strom aus erneuerbaren Energien in Echtzeit und ermöglicht es Nutzern mit Sonnenkollektoren, ihren überschüssigen Solarstrom mit anderen zu tauschen.

Neue Marktchancen entstehen und der Einsatz innovativer Technologien wird gefördert

Die Digitalisierung schafft neue Möglichkeiten für alte Energieunternehmen und bietet gleichzeitig Technologieunternehmen eine Chance für den Eintritt in den Energiesektor. Mit Investitionen in Höhe von 257 Milliarden Dollar im Jahr 2021 steht Technologie für saubere Energie im Vergleich zu den 14 wichtigsten Technologietrends, die die Welt heute beeinflussen, an der Spitze der Investitionen (TechRepublic). Gleichzeitig kann die Digitalisierung durch die Verringerung von Vorabinvestitionen die Einführung fortschrittlicher Technologien beschleunigen. 

Es ist davon auszugehen, dass sich der Energiemarkt auch in den nächsten Jahren weiter verändern wird, sich bestehende Modelle weiterentwickeln und neue Akteure in den Markt eintreten werden. Durch Innovationen und Optimierungen wird der Einsatz erneuerbarer und dezentraler Energien immer effizienter und Kosten können gesenkt werden.

Autor

Dominik Flach

Dominik Flach ist Consultant bei hy und unterstützt unsere Kunden bei der Implementierung von neuen Geschäftsmodellen und Prozessen sowie beim Aufbau neuer Ventures. Vor seiner Zeit bei hy beschäftigte er sich intensiv mit der Digitalisierung von Unternehmen am Institut für Digitale Transformation der Hochschule Neu-Ulm, wo er auch seinen Bachelor-Abschluss in Information Management and Corporate Communications machte. Darüber hinaus ist Dominik gelernter Euro-Industriekaufmann, hat verschiedenste Sales Positionen bei der KNARR Gruppe durchlaufen und war bei Bosch.IO in Singapur an der Entwicklung und Umsetzung neuer Geschäfts- und Vertriebsprozesse im gesamten asiatisch-pazifischen Raum beteiligt.