Plattformen – die Cash-cows des 21. Jahrhunderts

Wie hoch ist die Gewinnmarge Ihres Unternehmens (nach Abzug aller Kosten)? Wenn Sie im Lebensmitteleinzelhandel, im Großhandel, in der Logistik, im Maschinenbau, in der Touristik oder in vielen anderen Branchen arbeiten, liegt Ihre Antwort vermutlich zwischen null und zehn Prozent. Falls es mehr ist: Glückwunsch! Investitionen in Infrastruktur, hohe Personalkosten und ein stetiger Preiskampf sorgen jedoch dafür, dass sich diese Zahlen auch in den nächsten Jahren nicht besonders positiv ändern werden.

Kein Wunder also, dass viele traditionelle Unternehmen immer verstärkter (und teilweise schon recht spät) nach profitablen digitalen Geschäftsmodellen rund um ihr Kerngeschäft suchen. Ein Thema, das dabei immer wieder aufkommt: Plattformen. Eine Plattform ist (Zitat von StepStone-CEO Ralf Baumann) ein Stück Software, das Angebot und Nachfrage zu einem bestimmten Produkt oder einer Dienstleistung zusammenbringt.

50%+ Marge mit digitalen Plattformmodellen

Schon in den späten 1990er Jahren kamen Plattformen groß in Mode, vor allem mit B2C-, C2C- oder B2B2C-Fokus, z.B.

  • ImmobilienScout24 oder Immowelt für Immobilien
  • StepStone oder Monster für Jobs
  • Mobile.de oder AutoScout24 für Autos
  • Amazon Marketplace oder eBay für Retailprodukte aller Art
  • Parship oder Tinder fürs Dating
  • Expedia oder Booking für Hotels und Reisen
  • Airbnb für private Apartments
  • Apple AppStore oder Google Play Store für Entwickler und Anwender
  • Netflix oder Spotify für Medienkonsumenten

Mittlerweile lässt sich diese Liste auch im B2B-Bereich über verschiedene Industrien oder Produktbereiche quasi endlos fortführen:

  • Klöckner Marketplace oder XOM für Stahl
  • Amazon Business oder Alibaba für B2B-Handel aller Art
  • EPEC für Industrieprodukte
  • Pinpools oder Chemondis für Chemikalien
  • Toii oder Axoom für Industriedienstleistungen
  • Caruso für Mobilitäts- und Datenservices
  • Komuno für Kommunalkredite
  • Aviatar für Airlines
  • Mercateo oder werliefertwas für Einkäufer

Axel Springer erzielte mit seinen Plattformmodellen im Jahr 2018 eine EBITDA-Marge von über 40%, die Scout24-Gruppe erreicht sogar fast 55%. Kein Wunder, dass viele Unternehmen über den eigenen Aufbau von Plattformen nachdenken. Neben der hohen Margen haben Plattformen weitere Vorteile:

  • Der Plattformbetreiber hat keine Waren, kein Lager und keine Logistikprozesse und dadurch in der Regel deutlich schlankere Prozesse als Händler.
  • Auf beiden Seiten der Plattform wirken starke Netzwerkeffekte, die das Wachstum der Plattform (nach Erreichen einer kritischen Masse) immer schneller nach vorne bringt.
  • Konsumenten kommen an starken Plattformen nicht vorbei. Versuchen Sie doch mal, ein paar Wochen ohne Google, Facebook, Amazon und Apple auszukommen.
  • Die Abhängigkeit der Angebotsseite (“Supply”) ist riesig, wodurch die Plattformen riesiges Pricing-Potenzial haben.

Als Zwischenfazit lässt sich feststellen, dass in der Plattformökonomie die altbekannte Phrase “The winner takes it all!” zu 100% zutrifft. Die Frage ist nun: Wie kriege ich es hin, dass meine Plattform die #1 wird und nicht die weitaus weniger rentable #2 oder #3? Die Antwort liegt in der perfekten Kombination aus Produkt, Vertrieb, Marketing und Pricing. Das Thema Pricing nehmen wir jetzt nochmal etwas genauer unter die Lupe.

Fokus: Pricing

Pricing umfasst viele Fragen, die sich beliebig vertiefen lassen. Wir konzentrieren uns auf die Basismechanismen von transaktionsbasierten Plattformen (oder Marktplätzen) und wollen die (unserer Meinung nach) Top 4 Fragen angehen, die sich jeder Plattformbetreiber zu Beginn stellen sollte:

  1. Wer bezahlt die Leistungen der Plattform?
  2. Welches Preismodell nutze ich?
  3. Wie setze ich die richtigen Preise je Zielgruppe?
  4. Wie hilft mein Pricing beim Skalieren der Plattform?

Pricing-Frage 1: Wer zahlt die Zeche?

Die erste Frage, die sich ein Plattformbetreiber bei der Ausgestaltung der Preisstrategie stellen sollte, ist: Wer bezahlt mich eigentlich? Anbieter oder Nachfrager? Die Antwort ist relativ einfach: derjenige mit der höheren Zahlungsbereitschaft. Meist ist dies die Angebotsseite. Beispiel: Der Immobilienmakler bezahlt seine Anzeige auf Immowelt, nicht der Immobiliensuchende. Der Händler bezahlt die PayPal-Transaktion, nicht der Käufer. Der App-Entwickler teilt seinen Umsatz mit Apple und Google, wenn der Download über den Store erfolgte. Es gibt allerdings auch Ausnahmen: bei C2C-Plattformen wie Airbnb oder Blablacar gibt der Anbieter seinen gewünschten Preis (hier: pro Übernachtung bzw. Fahrt) ein, und der Anbieter schlägt eine Servicegebühr für den Gast, also den Nachfrager, auf. Airbnb ist in der Hinsicht gleich eine doppelte Ausnahme, da hier (aus historischen Gründen) Anbieter und Nachfrager eine Gebühr zahlen. Auch wenn dies bei Airbnb funktioniert, ist dies ein eher selten genutztes Modell, weil so Eintrittshürden für beide Parteien aufgebaut werden.

Pricing-Frage 2: Wofür wird bezahlt?

Die zweite Frage lautet nun: Was genau bepreise ich eigentlich? Sichtbarkeit oder Transaktion? Grundsätzlich versuchen die meisten Plattformen, so viel wie möglich von der Transaktion selber zu steuern. Amazon macht dies meisterlich: Angebote können in der Suche hervorgehoben werden (gegen einen Aufpreis), bei der Transaktion wird eine Gebühr fällig (prozentual vom Verkaufspreis), dazu kommen zusätzliche Fees für Payment und Fulfillment.

Andere Plattformen, z.B. Kleinanzeigenportale wie StepStone, ImmobilienScout24, Mobile.de oder eBay Kleinanzeigen, können Transaktionen wie den Abschluss eines Arbeitsvertrages, den Kauf einer Immobilie, eines Autos oder einer gebrauchten Waschmaschine nicht tracken und den Kauf somit auch nicht bepreisen. Was ihnen bleibt, ist die Monetarisierung der Sichtbarkeit. Hierfür gibt es drei Basispreismodelle, welche in unterschiedlichen Formen 99% aller Plattform-Preismodelle abdecken:

  • Preis pro Listing. Der Anbieter zahlt einen Festpreis, wodurch sein Eintrag eine gewisse Zeit auf der Plattform erscheint. Sehr beliebt bei Jobportalen.
  • Preis pro Slot. Der Anbieter schließt einen Abovertrag mit der Plattform über eine digitale Werbefläche. Den Content kann er regelmäßig wechseln. Führendes Modell bei Immobilienportalen.
  • Preis nach Performance. Der Anbieter legt ein Budget fest und bezahlt nach Impression (CPM), Klick (CPC), Lead (CPL) oder anderen Performancekriterien. Bekannt von Google, Facebook, LinkedIn und vielen anderen Plattformen.

Pricing-Frage 3: Jedem Kunden ein anderen Preis?

Sehr kontrovers (insbesondere im B2B-Umfeld) ist die Frage, ob alle Kunden den gleichen Preis bekommen sollten. Kurze Antwort: nein, das sollten sie nicht! Die Zahlungsbereitschaft der verschiedenen Anbietergruppen schwankt stark – von daher sollte dies auch im Rahmen der Preisfindung berücksichtigt werden.

Vielleicht erinnern Sie sich (nach der Lektüre bis hierhin) an die Eingangsfrage nach der Marge Ihres Unternehmens. Amazon Marketplace verlangt höhere Gebühren für Verkäufer von Uhren, als von Elektronikhändlern. Preisvergleich idealo nimmt einen höheren Preis für Klicks auf Reifen, als auf Spielekonsolen. Auf ImmobilienScout24 zahlen Verkäufer von Luxusimmobilien in München pro Listing mehr als Mietmakler im Saarland.

Zusätzlich kann der Plattformbetreiber den Anbietern Zusatzleistungen offerieren, um ihre Visibilität auf der Plattform zu steigern. Ein (nicht unbedingt nachfragerfreundliches, aber dennoch sehr beliebtes) Modell sind zum Beispiel Bronze-Silber-Gold-Pakete (auch Good-better-best genannt). Kunden, die das Silber- oder Gold-Produkt kaufen, erhalten mehr Visibilität als die Bronze-Kunden, zum Beispiel indem ihre Anzeigen oder Produkte weiter oben in der Suchliste der Plattform positioniert sind und so mehr Aufmerksamkeit erlangen.

Letzte Frage: Wie nutze ich das Pricing zur Skalierung?

Beim Aufbau einer Plattform ist es entscheidend, zunächst viel Content der Anbieter zu gewinnen, um so die Nachfrageseite für sich zu gewinnen. Je teurer das Pricing (in welcher Form auch immer), desto schwieriger diese Aufgabe für den Vertrieb. Die Strategie, zu Beginn mit niedrigen Preisen in den Markt zu gehen, ist für Plattformen essenziell. Natürlich bedeutet dies, dass Plattformen nicht unmittelbar nach ihrem Launch sofort hochprofitabel sind. Dies geschieht erst, wenn sie eine kritische Größe erreichen. Dann aber entfaltet sich die volle Pricing-Power:

StepStone begann als digitaler Angreifer im Jahr 1999, Stellenanzeigen in der Größenordnung von 200 bis 300 € zu verkaufen. Im Vergleich: eine viertelseitige Stellenanzeige in der FAZ kostete damals (umgerechnet) ca. 15.000 €. Heute ist StepStone klarer Marktführer in Deutschland und die Anzeigen kosten zwischen 920 und 1.695 €.

Als digitaler Pionier für Immobilienanzeigen stieg ImmobilienScout24 analog zu StepStone mit Preisen deutlich unter denen von Zeitungsanzeigen in den Markt ein und zog mit steigendem Marktanteil in den 2000er Jahren die Preise jedes Jahr (!) um ca. 20 bis 30 Prozent, teilweise sogar um bis zu 100 Prozent, an. Kunden verloren sie dennoch kaum, da die Makler zu abhängig von ImmobilienScout24 als Vermittler von Kontakten waren. Trotz Preiserhöhungen war Scout einfach immer noch viel effizienter als jede Zeitung oder andere Plattformen.

Ein letzter Punkt sollte beim Pricing berücksichtigt werden: der Content. Plattformen generieren Nachfrage, indem sie hochwertigen Content aus zahlreichen Quellen aggregiert darstellen. Das bedeutet: jedes (gute) Angebot auf der Plattform steigert die Nachfrage. Plattformbetreiber sollten sich daher überlegen, wie sie mit Pricing Qualität und Quantität des Angebots steigern. Hier gibt es zahlreiche mögliche Vorgehensweisen, daher seien hier nur ein paar davon genannt:

  • Fast alle Plattformen arbeiten mit Mengenrabatten: je mehr ein Anbieter abnimmt, desto günstiger der Preis pro Einheit
  • eBay belohnt Händler, die vielfach positiv bewertet werden, mit Rabatten oder Zusatzleistungen
  • idealo bietet seinen Händlern Rabatte an, wenn diese verschiedene Qualitätskriterien erfüllen (z.B. Einbindung Partnerlogo, Übermittlung des gesamten Sortiments)
  • ImmobilienScout24 bietet eine Mitgliedschaft an, die es seinen Maklern erlaubt, alle ihre Immobilien zu veröffentlichen. Das Preisniveau für die Mitgliedschaft ist jedoch kundenindividuell

Abb.: Pricing Matrix

Fazit

Pricing ist eines der Erfolgsfaktoren bei dem Aufbau und dem profitablen Betrieb von Plattformmodellen. Erfolgreiche Benchmarks zeigen uns, dass Plattformen immens hohe EBITDA-Margen von 50% und mehr erreichen können. Dennoch sollten Plattformbetreiber insbesondere zu Beginn nicht zu gierig sein, sondern mit einem einfachen und skalierbaren Preismodell starten. Wenn genügend Anbieter und Nachfrager auf der Plattform sind, kann die Monetarisierung nach und nach verbessert werden.

Autor

Dr. Sebastian Voigt

Dr. Sebastian Voigt ist Partner bei hy und verantwortlich für die Pricing and Sales Business Unit. Sebastian studierte Wirtschaftsinformatik und promovierte an der TU Darmstadt zu Monetarisierungsstrategien von digitalen Marktplätzen. Seit über 15 Jahren entwickelt er profitable digitale Geschäftsmodelle. Er arbeitete u.a. als Director bei der Unternehmensberatung Simon-Kucher & Partners, leitete die Projektteams der Investmentholding von Axel Springer und nahm operative Führungspositionen innerhalb von Bertelsmann und ProSiebenSat1 ein.