3 Fragen an Dr. Tanja Emmerling
Dr. Tanja Emmerling ist Partner und Head of High-Tech Gründerfonds (HTGF) Berlin, ein auf Technologie-Startups fokussierter Venture Capital Fonds aus Bonn und Berlin. Unser Kollege Lukas Muttenthaler hat ihr 3 Fragen zu der Startup Landschaft in Deutschland und zu dem Einfluss der Corona Pandemie auf die Investitionskriterien des HTGF gestellt.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Startup Landschaft in Deutschland und in welchen Branchen erwarten sie in den nächsten 5 Jahren ein höheres Investitionsaufkommen?
2020 war natürlich auch für die Startup-Branche ein herausforderndes Jahr. Gerade junge Startups aus den Bereichen Tourismus, Event oder offline Retail-abhängige Modelle waren stark getroffen – und dennoch sehe ich hier für die Zukunft weiter einen großen Trend. Die Impfungen sind ja bereits angelaufen, und der fulminante Börsengang, den Airbnb trotz Krise hingelegt hat, zeigt, dass Investoren weiter an den Reise- und Tourismusmarkt glauben. Auch hat uns China vorgemacht, wie schnell sich diese Sektoren erholen können, sobald Corona unter Kontrolle ist.
Andere Sektoren konnten stark von der Krise profitieren, den digitalen Geschäftsmodellen gehört auch in den kommenden fünf Jahren die Zukunft. Etwa im E-Commerce, hier berichteten beim Startup-Monitor 37 Prozent der E-Commerce-Services und über 51 Prozent der Unternehmen im Online-Networking von keinen oder positiven Auswirkungen auf die Geschäftsentwicklungen. Auch die Fintech-Branche war von manchen Trends der letzten Monate beflügelt. Schließlich haben Online-Zahlungen um über 30 Prozent zugenommen.
Nicht zu vergessen ist, dass der LifeSciences- und HealthTech-Sektor weiterwachsen wird. Curevac ist dieses Jahr an die Börse gegangen, Biontech hat einen wichtigen Corona-Impfstoff auf den Markt gebracht, Wir, der HTGF, haben mit dem Verkauf unseres Life-Sciences-Portfoliounternehmens Myr, das ein Medikament gegen Hepatitis D auf den Markt gebracht hat, gerade unseren erfolgreichsten Exit realisiert. Telemedizin kommt immer mehr in der Mitte der Gesellschaft an, seit Oktober können Ärzte einzelne Gesundheitsapps verschreiben und die Einführung des eRezepts Anfang 2021 wird einen zusätzlichen Schub verleihen. Wir haben hier tolle innovative Unternehmen in Deutschland und werden langfristig von diesem Know-how profitieren können.
Zusätzlich wird uns die Ausbreitung der 5G-Technologie in einigen Bereichen einen weiteren Innovationsschub bescheren. Firmen, die wissen, wie man diese Technologie effektiv in die Branchen bringt, werden im Fokus zukünftiger Invests stehen. Insgesamt geht es der Startup-Branche hierzulande deutlich besser als viele im März befürchtet hatten. Die Kollegen vom VC Atomico haben ja gerade erst ihre Studie veröffentlicht: Europäische Technologie-Startups konnten dieses Jahr eine Rekordsumme von mehr als 41 Milliarden Dollar einsammeln.
Der HTFG konnte bereits über alle drei Fonds mehr als 100 Exits in Form von Verkäufen verzeichnen. Grandcentrix wurde Teil der Vodafone Familie. MSD/Merck übernahm Rigontec. Emma wurde von Haniel gekauft. Das sind nur ein paar wenige Beispiele. Unter den Exits waren auch zwei IPOs, der von N-Fon an die Deutsche Börse und Immunic an die Nasdaq. Woran denken Sie liegt es, dass nicht mehr IPOs in Deutschland durchgeführt werden?
Wir sind sehr glücklich darüber, dass unsere Firmen so großartige Exits geschafft haben. Grundsätzlich wären mehr Börsengänge gut, ich teile die Meinung meines Kollegen und Geschäftsführers Alex von Frankenberg, der hier bei LinkedIn im September einen guten Artikel dazu veröffentlicht. Damals jährte sich der größte Tech-Börsengang, den es hierzulande seit Platzen der Dotcom-Blase gegeben hatte: Teamviewer ist im September 2019 erfolgreich an der Börse gestartet. Auch noch positiv aus diesem Jahr: Delivery Hero ist in den Dax aufgenommen worden. Aber das war es dann auch schon an guten IPO-Nachrichten von Tech-Firmen. In skandinavischen Ländern oder den USA ist es deutlich besser. Gerade erst sprachen wir über den Börsengang von Airbnb. Wir brauchen in Deutschland generell mehr Grundwissen und weniger Risikodenken bei Anlegern, mehr Bildung in diesem Bereich und gegebenenfalls auch bessere Anreize, Aktien zur Vorsorge zu nutzen. Wir brauchen insgesamt eine bessere Aktienkultur in Deutschland.
Inwiefern hat sich die Corona Pandemie auf das Investitionsverhalten des HTGF ausgewirkt? Wurden Investments selektiver durchgeführt bzw. wurden die Investitionskriterien verschärft?
Wir haben weiter investiert. Das haben wir zu Beginn der Krise gesagt und auch so gemacht. Wir haben zudem gesehen, was Gründerinnen und Gründern in einer so herausfordernden Phase leisten können. Wir als HTGF sind ja vor 15 Jahren nach der Dotcom-Krise gegründet worden, haben während der Finanzkrise weiter investiert und auch dieses Jahr unseren Schnitt von rund 40 Neuinvestments pro Jahr gehalten. Das heißt, mit Krise kennen wir uns aus. Krisen haben einen Anfang und ein Ende und es kommt nur darauf an, wie man die Zeit dazwischen managed. Ich denke es ist sehr wichtig, bei Aufkommen einer Krise nicht mit Panikreaktionen gegenzusteuern, Invests abzusagen oder von heute auf morgen die Kriterien zu verschärfen. Der HTGF plant bei seinen Investitionen immer langfristig, so sind auch unsere Auswahlkriterien ausgerichtet. Wir möchten Unternehmen unterstützen, die uns beweisen, auch mit Unwegsamkeiten umgehen zu können. Das schließt eine solche außergewöhnliche Lage wie dieses Jahr natürlich mit ein. Von daher sind unsere Verfahren bereits auf solide und perspektivische Partnerschaften eingestellt.
Bei allen Schattenseiten dieser Krise, sind ja auch Chancen entstanden. Ich denke, das ist bereits jetzt das große Learning, das wir alle verinnerlichen sollten. Ich hatte dazu in meiner monatlichen LinkedIn-Kolumne geschrieben. Auch gefestigten Unternehmen wurde in der Krise einmal mehr aufgezeigt, wo dringend nachjustiert werden muss. Viele mussten eingestehen, dass auch im High-Tech-Land Deutschland, erfolgreiche Digitalisierung und effektive Prozesse noch nicht die Regel sind. Genau dies ist der Moment, den wir nutzen können. Darum kann es durchaus klug sein, jetzt zu gründen, wie ich auch auf LinkedIn geschrieben habe. Wenn Sie zurückblicken auf vergangene Kalamitäten, so sind immer die als Sieger hervorgegangen, die nicht in einen Krisenmodus verfallen sind, sondern ihr Kapital weiterhin klug eingesetzt haben. Panik und überhastete Reaktionen sehen wir dieser Tage genug – so etwas hat im VC-Business keinen Platz.