Inflation in Deutschland – welche Möglichkeiten sich durch einen erhöhten Leitzins für Unternehmen ergeben

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21.07.2022 – Ein Beitrag von Philipp Frey, Martin Fehst und Justus Thiel

Was passiert aktuell in Deutschland mit den Preisen?

Nach 46 Jahren ist die Inflation wieder für jedermann ein Begriff, denn sie ist auf Rekordniveau in Deutschland zurück. 

Das Statistische Amt der Europäischen Union (Eurostat) berechnete im Juni für Deutschland eine Teuerungsrate von 8,7 % (2022), das Statistische Bundesamt hingegen kam auf ebenfalls sehr hohe 7,6 % (Destatis, 2022). 

Zwar scheint es unwahrscheinlich, dass diese Raten sich auf gleichem Niveau weiterentwickeln, die Auswirkungen für die deutsche Wirtschaft dürften dennoch erheblich bleiben. Dementsprechend wichtig wird es für Unternehmen und Verbraucher, diese Entwicklung zu verfolgen und rechtzeitig zu reagieren. 

Der Blick auf die leuchtenden Preistafeln an den Tankstellen, aber auch auf den Kassenbon beim alltäglichen Lebensmitteleinkauf hat uns alle nachhaltig verunsichert. Erstmalig seit 1973/1974 erreicht die Inflation einen so hohen Wert, dass sich ganz Deutschland aktuell mit einer realen Angst vor weiteren Preisanstiegen konfrontiert sieht. Eine Entspannung ist für 2022 nicht zu erwarten, so geht die Bundesbank von einer Inflationsrate von 7,1 % für das gesamte Jahr 2022 aus, mit einem spürbaren Rückgang ist erst 2023 zu rechnen. Neben den Treibstoff- und Lebensmittelkosten sind es vor allem die Preise für Strom bzw. Gas welche die Inflation in Deutschland auf neue Höhen treiben. Laut dem Vergleichsportal Verivox liegen die durchschnittlichen Preisanpassungen der Gasanbieter im Jahr 2022 bei 75 %. Ein repräsentativer Haushalt, welcher ca. 20.000 Kilowattstunden im Jahr verbraucht, würde gegenwärtig 2752 Euro für Gas bezahlen. Letztes Jahr waren es noch 1290 Euro, eine Preissteigerung von 113,3 % (Verivox, 2022). Ein Ende dieser Tendenz ist noch nicht abzusehen, sollten die Lieferungen aus Russland weiterhin nur gedrosselt erfolgen ist mit weiteren explosionsartigen Preisanstiegen zu rechnen. Zudem sind allein die Kosten für Lebensmittel im Juni im Schnitt um 12,7 % teurer als im Jahr zuvor (Die Zeit). 

Die hohe Belastung der Verbraucher trifft auch Unternehmen, ein Kreislauf entsteht. So wirkt sich der Kaufkraftverlust der Konsumenten auf das Konsumgewerbe aus, woraus deutliche Umsatzeinbrüche resultieren. Die deutschen Einzelhändler meldeten im April einen preisbereinigten Umsatzrückgang von 5,4 % im Vergleich zum Vormonat, der reale Umsatz erreichte somit den tiefsten Stand seit Februar 2021 (Statistisches Bundesamt). Zudem kann teilweise durch die Inflation eine Lohn-Preis-Spirale entstehen, da sich Löhne zeitversetzt entlang der Inflation entwickeln. Die gestiegenen Lohnkosten legen Unternehmen auf ihre Preise um, sodass die Lebenshaltungskosten steigen und im Umkehrschluss wieder Lohnerhöhungen gefordert werden. Neben den explosionsartig gestiegenen Material- und Energiekosten und den Lieferengpässen feuert diese Spirale die Unsicherheit der Bevölkerung und Unternehmen weiter an. 

Doch was heißt eigentlich Inflation und warum ist es wichtig, das Wirkungsgefüge dahinter zu verstehen?

Inflation ist der andauernde Prozess der Geldentwertung. Mit einer Geldeinheit wie dem Euro kann in einer Inflationsphase immer weniger gekauft werden. Die Inflation stellt demnach die Entwicklung des allgemeinen Preisniveaus dar. In anderen Worten: Um wie viel steigen im Monatsdurchschnitt die Realkosten für Firmen und Verbraucher an.

Inflation ist per se nichts Negatives, denn sie hat in geringem Umfang zur Folge, dass Verbraucher und Unternehmen ihr Geld aufgrund der erwarteten Entwertung zeitnah für den Kauf von Gütern oder Leistungen einsetzen und so zum Wirtschaftswachstum beitragen. Die EZB hat daher seit 2021 ein mittelfristiges, jährliches Inflationsziel von 2 % ausgegeben, da dieses die Wirtschaft nahezu störungsfrei macht. 

Im letzten Halbjahr überstiegen die Preissteigerungen das Wirtschaftswachstum. Alle Zeichen stehen also auf Stagflation – der konjunkturellen Situation von langsamerem Wirtschaftswachstum und hoher Inflation. Im Gegensatz zu der vorherrschenden Stagflation in den 70ern warnt ifo-Chef Clemens Fuest nun davor, dass klassische Konjunkturpakete bei einem Angebotsmangel nicht wirken (BR24).

Leitzinserhöhung

Die stark angestiegene Inflationsrate versucht die EZB nach einer langen Phase der Nullzinspolitik durch einen erhöhten Leitzins zu bekämpfen. Laut Expertenmeinung ist es noch nicht zu spät, beschriebenen Effekten wie einer Lohn-Preis-Spirale aus dem Weg zu gehen und private Haushalte zu entlasten (ifo Chef, Manager Magazin). Erstmals seit 2011 hat die EZB den Leitzins wieder angehoben und damit das vorläufige Ende der Nullzins-Ära eingeläutet. Der Beschluss den Zins um 25 Basispunkte zu erhöhen wurde bereits am 9. Juni 2022 getroffen, nun folgte die finale Entscheidung den Leitzins um 50 Basispunkte anzuheben. Nachdem die Forderungen nach einer stärkeren Reaktion in den letzten Tagen deutlich zugenommen haben, galt dieser Schritt nicht mehr als ausgeschlossen, kommt aber mit Blick auf die Zurückhaltung der EZB in den letzten Wochen dennoch unerwartet. Inwiefern diese Maßnahmen greifen wird die Zukunft zeigen, erfahrungsgemäß kann es Monate bzw. Jahre dauern bis die Zinserhöhungen ihre Wirkung entfalten. 

Klar ist: Es ist Aufgabe der Zentralbanken, in diesen Lagen mit denen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gegenzusteuern. Das bekannteste Mittel sind Zinserhöhungen. Dabei wird das Geld für Banken, welches sie ihren Kunden zur Verfügung stellen, einfach gesagt teurer. Diese Mehrkosten geben sie an ihre Kunden weiter. Die spürbare Folge: Investitionen von Privathaushalten sowie Unternehmen sinken. Somit verringert sich die Nachfrage nach Geld und in der Theorie stabilisieren sich Preise. Allerdings kann die Notenbank externe Einflüsse wie den Ukraine-Krieg nicht steuern, sodass die aktuellen Zinserhöhung nicht automatisch zu einer Preisstabilisierung führen. Die genaue Inflations- und Zinsentwicklung in den nächsten Jahren ist aufgrund der besonderen Umstände somit ungewiss und könnte ebenfalls auf dem aktuellen Niveau verbleiben.

Krieg, Lieferengpässe und Corona – Womit haben Unternehmen aktuell noch zu kämpfen?

Die Inflation ist aber nicht die alleinige Ursache für die aktuellen Problematiken der Unternehmen und Verbraucher. Vielmehr sehen wir aktuell eine einzigartige Kombination von wechselseitigen Umständen.

Als Preistreiber für Endprodukte gelten aktuell die Rohstoffpreise, vor allem industrielle Vorprodukte. So zeigt der ifo Knappheitsindikator im Juni 2022 an, dass ca. 74 % aller deutschen Unternehmen Probleme in der Rohstoffbeschaffung haben und die Produktion behindert wird. Dieser Wert lag beispielsweise im Juni 2019 bei ca. 5 %. Dabei haben vor allem Unternehmen in der Automobil- und Maschinenbaubranche Probleme. Hinzu kommen die enorm gestiegenen Energiekosten. Diese sorgen gerade bei Logistik- und Industrieunternehmen für hohe finanzielle Belastungen und daraus resultierende sinkende Margen bis hin zu negativen Deckungsbeiträgen. Hieraus entwickelt sich schnell ein Wettbewerbsnachteil gegenüber Konkurrenten aus weniger betroffenen Ländern, da gerade in Deutschland die Energiekosten im europäischen Vergleich unproportional stark gestiegen sind.

Grundsätzlich ist die Auftragslage in deutschen Firmen sehr gut und in einer positiven Entwicklung, jedoch können Firmen keine neuen Aufträge annehmen. Diese Effekte wirken sich erst zeitversetzt auf den Endkonsumenten aus. Wenn Futtermittel oder Düngermittel schwieriger zu bekommen sind, kann aktuell ein Landwirt noch Vorräte benutzen, muss aber langfristig seine Produktion herunterfahren, was zu einem generellen niedrigeren Angebot sorgt und einen höheren Preis erzeugt.

Eine ähnliche zeitverzögerte Wirkung lässt sich in der noch anhaltenden Covid-19-Pandemie erkennen. Während der Pandemie hat sich das Konsumverhalten gewandelt – beispielsweise weg von Dienstleistungen und hin zu Elektrogeräten.
Beschleunigend wirkt zudem die Zero-Covid Strategie der chinesischen Regierung, da in einer globalisierten Welt häufig ein Teil der Wertschöpfungskette in China abgebildet ist und aktuell dadurch gelähmt wird. So wurden aufgrund der drohenden Ansteckungsgefahr und der eingebrochenen Nachfrage wurden ganze Werke vor allem im Automotive-Bereich für Wochen geschlossen. Auch wenn die aktuellen pandemischen Maßnahmen ein Ende der Covid-19-Pandemie vermuten lassen, so zeigen die aktuellen hohen Infektionszahlen ein anderes Bild. Dementsprechend ist weiterhin mit erschwerenden Bedingungen für Unternehmen zu rechnen.

Der Ukraine-Krieg sorgt aktuell vor allem für eine allgemeine Unsicherheit im Markt und befeuert die Lieferengpässe, welche im 2. Halbjahr 2022 für Produktionsverluste in Höhe von bis zu 10% sorgen werden. Eine Entspannung ist auch hier nicht in Sicht, so erwarten die befragten Unternehmen ein Anhalten dieser Verluste bis ins Jahr 2024 hinein (Bundesbank, Mai 2022). Kriegsbedingt können weniger oder gar keine Rohstoffe aus der Ukraine oder Russland bezogen werden. Neben dem Gas aus Russland und Weizen aus der Ukraine werden vor allem die Vorprodukte für Computerchips der Wirtschaft Probleme bereiten. So kommt 2020 über 45% des weltweiten Neons aus der Ukraine. Das Neon-Gas ist unerlässlich für 80% aller weltweiten Halbleiterproduktionen. Diese müssen nun teilweise ihre Produktionen aufwendig umstellen, was die aktuellen langen Lieferzeiten für Halbleiter nochmal verlängert (Economie Suisse). Die Situation der Lieferengpässe hatte sich Ende 2021 beruhigt, nahm jedoch wieder im Zuge des Ukraine-Krieges an Fahrt auf (ifo) und wird uns noch auf Jahre beschäftigen.

Das ifo-Institut  prognostiziert für Deutschland im Jahr 2022 ein Wirtschaftswachstum von 2,5 %, als Grund hierfür werden vor allem die Erholungseffekte im kontaktnahen Dienstleistungssektor und die trotz der Rohstoffknappheit immer noch sehr gut gefüllten Auftragsbücher der Industrie- und Baugewerbe angeführt. Nichtsdestotrotz bremsen die Inflation, Lieferengpässe, Covid-19-Pandemie und der Krieg die wirtschaftliche Erholung Deutschlands und Europas. Entgegengesetzt wirkende Effekte erschweren eine klare Abschätzung der zu erwartenden Entwicklung. Denn die Liste der aktuellen Einflüsse auf die Wirtschaft ist lang. 

Doch was kann konkret unternommen werden, um trotzdem in diesen  unsicheren Krisenzeiten zu wachsen?

Die Bewältigung der Inflation erfordert Maßnahmen unter Einbeziehung aller Unternehmensbereiche. Lösungen können nur durch übergreifende Initiativen erreicht werden, welche die langfristige Unterstützung der Unternehmensführung genießen. Entscheider sind hier in der Pflicht frühzeitig zu handeln, denn nur durch rechtzeitige Initiierung von strategischen Initiativen, lassen sich im aktuellen Markt- und Wettbewerbsumfeld kompetitive Vorteile erarbeiten. 

1. Preisgestaltungen

Eine grundlegende Frage in einem inflationären Umfeld: Wie lassen sich Preise kurzfristig sowie langfristig gestalten? Wenn die Kosten steigen, ist eine Preisanpassung zur Aufrechterhaltung der Gewinnspannen eine logische Folge. Sie belastet jedoch Geschäftsbeziehungen, denn sie entzieht dem Kunden Planungssicherheit und bedroht dessen Marge. Sales-Executives kommt also die Aufgabe zu, in Verhandlungen mit den Kunden die gemeinsame Herausforderung der Inflation in den Mittelpunkt zu stellen. Gleichzeitig ist auch klar, dass auf gestiegene Preise und sinkende Marge reagiert werden muss, wobei es hier vielzählige Möglichkeiten der Umsetzung gibt.

Wir haben vor einigen Monaten mit Experten aus über 15 verschiedenen Branchen gesprochen, unter anderem aus der Baustoffbranche, der Chemie, der Werkzeugbranche und dem Anlagenbau, wie mit dem Thema “Inflations-Pricing” umgegangen werden kann. Schon damals hatten über zwei Drittel aller Unternehmen ihre Preise angepasst bzw. Verträge neu aufgesetzt bzw. nachverhandelt.

Alle kennen die Problematik, daher ist die Akzeptanz von Preiserhöhungen höher als je zuvor. Spannend ist jedoch, wie eine Repricing erfolgt. Vom Einführen von (z.B. Diesel-)Surcharges und Inflations-/Preisgleitklauseln bis hin zum harten Kündigen unprofitabler Verträge ist alles dabei. Unser hy-Pricingteam, welches Unternehmen bei der Durchsetzung neuer Preisstrategien unterstützt, hat eine Liste der häufigsten Maßnahmen hier zusammengestellt.

2. Ressourcenallokation

Erhöhte Liefer- und Energiekosten zwingen Führungskräfte Potenziale für Kosteneinsparungen innerhalb des Operating Models zu identifizieren. Anstatt allein auf kurzfristige Effekte durch Restrukturierung der Organisation zu setzen, lohnt es sich das Produkt- und Serviceportfolio im Lichte dynamischer Ressourcenallokation zu betrachten. Dies beinhaltet die Umverteilung von Mitteln, Mitarbeitern und Aufmerksamkeit des Managements.

hy bietet seinen Kunden an im Rahmen eines “Growth Accounting”-Sprints an, Wachstumsquellen und wachstumsschwache Initiativen im bestehenden Produkt- und Serviceportfolio zu identifizieren, um unproduktive Kosten kurzfristig einzusparen. Durch unseren granularen Ansatz ermöglichen wir Führungskräften Geschäftssegmente von > 1% am Gesamtumsatz zu isolieren und ihren Beitrag zur Wertschöpfung einzuschätzen. Durch die Reallokation von Mitteln, Mitarbeitern und genereller Aufmerksamkeit des Managements lassen sich Umsätze in wachstumsstarken Segmenten forcieren.

hy bietet Kunden im Rahmen eines 10-12 wöchigen “Growth Hacking”-Sprints an neue Produkt- und Serviceideen durch eine Analyse des Zielmarktes zu validieren, indem Marktgröße, Trends und Wettbewerbssituation analysiert werden

3. Wachstum in neuen Segmenten ermöglichen

Die Fähigkeit zur konsequenten Innovation hat bereits in Zeiten von COVID-19 echte Krisengewinner unter deutschen Mittelständlern hervorgebracht (siehe auch unser Beitrag aus dem Mai, hier). Sofern der Weg zur kundenorientierten Digitalstrategie bislang verpasst wurde, besteht jetzt nochmals die Chance bestehende Innovationsideen zu verproben und umzusetzen, um die Transformation von assetlastigen Geschäftsmodellen zu skalierbaren digitalen Modellen zu wagen.

hy bietet Kunden im Rahmen eines 10-12 wöchigen “Growth Hacking”-Sprints an neue Produkt- und Serviceideen durch ein Screening des Zielmarktes zu validieren, indem Marktgröße, Trends und Wettbewerbssituation analysiert werden. Basierend auf einer weiterführenden Analyse der Asset- und Stärkenarchitektur des Unternehmens werden individuell attraktive Wachstumssegmente identifiziert und durch Interviews mit Experten aus dem hy-Netzwerk validiert. Als Ergebnis zeigen wir klar definierte Wachstumsopportunitäten auf.

220421 - Portrait - Philipp Frey
Autor

Philipp Frey

Philipp Frey ist Principal bei hy und berät unsere Kunden bei der erfolgreichen Identifizierung und Umsetzung von Wachstumsopportunitäten. Vor seiner Zeit bei hy war er als Strategy Consultant bei Accenture tätig und begleitete Klienten bei der Entwicklung und Implementierung von strategischen Initiativen. Weitere Erfahrungen sammelte er in Beratungen, Corporates und VC-Fonds. Philipp hat Jura an der Universität Münster studiert und sein Referendariat am Kammergericht Berlin absolviert. Außerdem hält er einen LL.M. von der University of the West of England, welchen er als Jahrgangsbester abschloss. Darüber hinaus absolvierte er einen MBA an der HHL Leipzig Graduate School of Management, wo er aktuell am Lehrstuhl für Strategisches Management und Digitales Unternehmertum forscht. Er ist Co-Autor des Bestsellers „Venture Capital - Finanzierung und Bewertung von Start-up Unternehmen”